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Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)

Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)

Titel: Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Andrea Huber
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Natürlich wusste sie, dass er recht hatte. Damit, was von Ärzten gefordert wurde und damit, dass sie derzeit nicht das erfüllte, was man von ihr erwartete. Ihr Mund wurde trocken.
    Phillip zog den Stuhl neben ihr unter dem Tisch hervor, setzte sich und verschränkte die Finger ineinander. „Vielleicht wäre es gut, wenn du dir noch einige Tage, oder möglicherweise auch ein paar mehr, Urlaub nehmen würdest. Wir sind zwar alles andere als gut besetzt, aber in deinem Zustand … Nimm dir einfach eine Weile frei. Fahr ans Meer oder in die Berge. Erhol dich, krieg den Kopf frei und dann komm wieder.“
    Sie setzte erneut zum Sprechen an, brachte jedoch immer noch nichts hervor. Solch eine „Auszeit“ konnte auch ganz schnell nach hinten losgehen. Die Stellen im Krankenhaus waren äußert begehrt. Sich rarzumachen, bedeutete auf Dauer nichts Gutes. Wenn sie nicht in der Lage war, ihre Arbeit zu tun, gab es genügend andere, die es liebend gerne für sie tun würden. Sie schluckte. „Phillip, ich bin … Es geht mir gut. Ich werde morgen pünktlich da sein und übermorgen und den Tag danach. Ich …“
    „Gwen, es geht nicht nur darum. Das hab ich grad schon gesagt. Du bist mit dem Kopf ganz woanders und das ist gefährlich. Was, wenn du ein falsches Medikament verabreichst? Oder eine falsche Diagnose stellst? Kannst du mir versprechen, dass du zu 100% hier bist? Kannst du das guten und ehrlichen Gewissens?“ Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Es stand ihm deutlich auf der Stirn geschrieben, dass er die Antwort darauf bereits kannte und lediglich hören wollte, ob sie es auch wusste.
    „Nein, das kann ich nicht versprechen …“ Sie spürte, dass ihr Tränen in die Augen trieben und senkte den Kopf.
    Eine warme Hand legte sich um ihre Finger. Sie sah auf.
    „Es ist in Ordnung. Unser Job ist kein Zuckerschlecken. Wir müssen gut für uns sorgen, sonst können wir auch für niemand anderen Sorge tragen. Nimm dir einfach ein paar Tage Zeit für dich. Deine Stelle wartet auf dich. Sie wird weder gestrichen noch von einem hochnäsigen, versnobten, hellhäutigen Arzt aus England besetzt, falls du dir das Kopfzerbrechen bereiten sollte.“
    Phillip lächelte sie an. „Du bist eine gute Assistenzärztin, Gwen. Und du wirst eine fantastische Oberärztin werden. Wir alle kommen mal an den Punkt, an dem wir einfach eine Auszeit benötigen, um weitermachen zu können.“
    An diesem Punkt war sie nicht. Es war nicht die Arbeit, die sie zu einer Auszeit zwang. Es war ihr restliches Leben, das sich im Chaos befand und alles andere aufzuzehren drohte, gleich einem schwarzen Loch. Sie wollte diesen einen funktionierenden und klaren Teil ihres Lebens nicht loslassen, aber sie wusste auch, dass Phillip recht hatte. Das Risiko, dass sie jemand anderem Schaden zufügen könnte, war einfach zu groß.
    „Es tut mir leid, Phillip. Ich weiß, dass es viel zu tun gibt. Ich werde mich … fangen und wieder als die Alte zurückkommen.“
    Aufmunternd nickte er ihr zu. „Mach das. Geh einfach zu Klara und lass dir von ihr deinen Urlaub eintragen. Alles andere kläre ich“.
    Er stand auf. Sie folgte seinem Beispiel.
    „Danke“, sagte sie mit leiser Stimme.
    „Keine Ursache. Das wird schon wieder. Wenn du mich jetzt entschuldigst …“

***
     
     

    Benommen stand sie noch einige Augenblicke lang da, dann verließ auch sie das Zimmer um Klara, die Arbeitsplan-Fee, aufzusuchen. Auf dem Weg dorthin, wurde sie von Maria, einer älteren Krankenschwester mit leicht angegrautem Haar, aufgehalten.
    „Hallo Gwen, in ...“ Maria hielt kurz inne und unterzog sie einer Musterung, ehe sie besorgt fortfuhr: „Schätzchen, geht es dir gut …? Du siehst so blass aus?“
    Gwen war sich ungemütlich darüber bewusst, dass sie höchstwahrscheinlich einen recht mitleiderregenden Anblick darbot. Sie richtete sich etwas gerader auf und antwortete so schwungvoll als möglich: „Es ist alles in Ordnung, Maria – nur zu wenig Schlaf. Ich war gerade bei Phillip und habe mit ihm besprochen, dass ich mir eine Weile freinehme …“
    Die ältere Frau bedachte sie mit einem warmen Lächeln. „Das ist nur richtig so. Ein junges Ding wie du sollte nicht all ihre Zeit und Kraft hier opfern. Es gibt noch ein Leben und eine Welt außerhalb dieser Mauern, mein Kind. Lass dir das von einer Frau sagen, die schon viele Menschen und Jahre kommen und gehen hat sehen.“
    Gwen brachte ein mattes, nicht ohne Zynismus versetztes, Lächeln

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