Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
zustande. „Ja … dass es eine Welt neben der hier drin gibt, habe ich auch schon festgestellt …
Was gibt es denn? Du wolltest mich doch wegen etwas Bestimmten sprechen, oder?“
Der Gesichtsausdruck der Schwester wurde etwas ernster. „Ach ja …ein Patient hat sich nach dir erkundigt … Ich habe ihn in Untersuchungszimmer drei geschickt. Er hat ausdrücklich nach dir gefragt. Oder, wenn man es genau nimmt, hat er ausdrücklich nach dir
verlangt
.“
Gwen runzelte die Stirn. „Nach mir? Wer ist es denn? Jemand, der zur Nachsorge da ist?“
„Es ist ein schwarzhaariger Kerl mit Pferdeschwanz. Ich hab ihn vorher noch nie gesehen, aber er macht keinen sonderlich sympathischen Eindruck …“
Maria beugte sich zu ihr und sagte in verschwörerischem Tonfall: „Wenn du mich fragst, der hat ganz sicher Dreck am Stecken. Das steht ihm förmlich in die Aura geschrieben. Vielleicht sollten wir lieber gleich den Sicherheitsdienst rufen. Nur zur Sicherheit.“
Kälte kroch Gwen in die Glieder, begleitet von einer unwillkommenen Ahnung. Merkas.
Den Sicherheitsdienst rufen? Konnten die überhaupt etwas gegen ihn ausrichten? Sollte sie weitere Menschen in ihre verzwickte Geschichte einspinnen? Er war einzig und allein wegen ihr hier. Niemand sonst musste in die Sache hineingezogen und in Gefahr gebracht werden.
Mit leicht flatternder Stimme sagte sie: „Nein Maria … ist schon in Ordnung. Ich sehe nach ihm. Wenn es ein Problem gibt, dann … dann habe ich immer noch Zeit genug den Sicherheitsdienst ausrufen zu lassen. Danke dir.“
Die ältere Frau bedachte sie mit einem mütterlichen Blick. „In Ordnung, Schätzchen. Wenn du nach ihm gesehen hast, verschwindest du aber gleich nach Hause. Sonst kommen noch mehr so aufdringliche Personen wie ich und halten dich von deiner verdienten Auszeit ab.“
Sie wusste nicht, wie viel und was genau auf ihrem Gesicht geschrieben stand. Dennoch schien Maria eine Ahnung davon zu haben. Zumindest einen geringen Hauch. „Mach ich. Bis dann, Maria.“
Die Schwester tätschelte nochmals ihren Arm, dann schritt sie weiter den Gang entlang.
Gwen stand wie an den Boden geklebt da. Sie konnte einfach verschwinden und Merkas bis zum Sankt Nimmerleinstag warten lassen. Irgendwann würde es ihm schon dämmern, dass sie längst über alle Berge war. Spätestens dann würde auch er abhauen. Schließlich hätte er keinen Grund mehr, noch länger hier zu bleiben. Oder …?
Ihr hämmernder Puls spiegelte ihr die eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit angesichts dieser Situation wider. Mit schwerfälligen Schritten ging sie los in Richtung Untersuchungszimmer.
Erst, als sie die Tür aufgedrückt hatte und ihm Rauminneren stand, drang die Erkenntnis ihrer unbewussten Entscheidung zu ihr durch. Das hieß jedoch keineswegs, dass sie diese Entscheidung ihres Unterbewusstseins verstand oder gar guthieß.
Merkas stand am gegenüberliegenden Zimmerende und begutachtete die medizinischen Gerätschaften und Schaubilder.
Sie wusste nicht, ob er die Tür gehört oder ob ihr keuchender Atem sie verraten hatte. Was es auch war, er drehte sich mit einem Grinsen im Gesicht zu ihr herum und fragte: „Lässt du deine Patienten immer so lange warten?“
„Du bist kein Patient.“ Die Worte purzelten von ganz allein aus ihrem Mund.
Sein Grinsen wurde breiter. „Nein, das bin ich nicht.“
Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, schlenderte er die Wand entlang auf sie zu und erinnerte mit seinem schwarzen Mantel, seiner stolzen Körperhaltung und seinem Pferdeschwanz ein bisschen an einen Aristokraten aus edlen Kreisen. Rein, was das Äußere anging zumindest.
Als sie es ihm nun gleich tat und ebenfalls die Wand entlang – jedoch in die entgegengesetzte Richtung – schritt, verlor dieser Vergleich rasch an Farbkraft und machte einer neuen Assoziation Platz. Wie sie sich so musterten und umkreisten, kam sie sich vor, wie eines von zwei Raubtieren, die kurz davor standen, sich aufeinander zu stürzen und anzugreifen. Der entscheidende Unterschied jedoch war der, dass sie kein Raubtier, sondern lediglich die Beute des Raubtieres war. Gerade, als dieser Vergleich vollständig durchdacht war, wurde sie sich ihrer misslichen Lage bewusst. Merkas stand nun breitbeinig vor der Tür. Sie stand ihm gegenüber am anderen Ende des Raums. Dem Raumende ohne Tür. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals.
Der Aristokraten-Panther sah sie mit einem zufriedenen Lächeln an. „Mich
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