Wenn das der Führer wüßte
Reihenfolge auf, sondern fetzenhaft und überlagert von Bildern, die ihm eine starke, blonde Rassefrau in wollüstig lässiger Hingabe, also in Schwäche und Erniedrigung, vorgaukelte. (Die bevorstehende Berlin-Fahrt hatte er schon weitgehend ausgeschaltet.) Stand das Haus der Eyckes in seiner Gesamtheit über einer schlechten Strahlung, oder waren allein Frau von Eyckes Gemächer im Einflußbereich einer pathogenen Störzone, verursacht durch unterirdische Wasserläufe oder Erzadern? Dies lag nahe, weil nur Frau Ulla leiblich und seelisch heimgesucht war. Zur heutigen ersten Mutung hatte Höllriegl, außer dem üblichen Kontrollgerät, eines der einfachsten Pendel mitgenommen, die der Gyromant kennt: das Haarpendel mit dem Kreisel aus Bernstein. Den Bernstein hatte er gewählt, weil das fossile Harz dem Weizenblond von Ullas Mähne am ehesten entsprach (insgeheim nannte er sie seine „Bernsteinhexe“), das Haar, weil es eine lebendige, menschliche Leitsubstanz ist – und weil er immer an Ullas Behaarung denken mußte. Ausschlaggebend war, wie er persönlich sich auf Frau von Eydkes Aur und Od einstellen konnte („am besten, sie wäre nicht da“), ihr Wesen war ja in Eyckes Behausung gefangen und daher auch ohne körperliche Nähe faßbar. Er mußte, das lag auf der Hand, eine Meisterleistung vollbringen. Schon vom Ergebnis dieser ersten Mutung hing viel für ihn ab, sowohl kommerziell wie gesellschaftlich, vor allem bei den Eyckes selbst und deren Einschätzung seiner Person. Genauer: Ullas Einschätzung.
Das Pendel war nur ein Werkzeug – Erfolg oder Nicht-erfolg der Aktion hing allein von seinem eigenen Bio-Motor ab, von seinem Electromagicon, wie Paracelsus das genannt hatte. Würde es ihm gelingen, sich aufs äußerste zu konzentrieren, im Haus des begehrten Weibes jeden störenden Wunschgedanken auszuschließen, all das Geheime, Persönliche, das ihn so beglückend, aber mit so schmerzlicher Hoffnungslosigkeit an die Bernsteinhexe band, zurückzudrängen?
Auf die Minute pünktlich, wie Höllriegl feststellte, hielt er vor dem breiten Gittertor mit den barocken Schnörkeln, die ein Wappen mehr andeuteten als hervorhoben; von hier führte eine schnurgerade, verwilderte Allee zum Herrenhaus. Der sehr weitläufige Besitz, von hohen, schon verfallenen Mauern eingefriedet, lag verborgen im waldigen Gelände, dicht an der Abzweigung der Straße nach Rottleberode, also nahe der Autobahn. (Dort würde er erst übermorgen früh und nicht Sonntag, wie der „Romanfritze“ es befohlen hatte, nach Berlin fahren, verdammte Sache das, Schwerdtfeger, T 4 – was zum Teufel hatte das alles zu bedeuten?) Höllriegl war schon einmal hier draußen gewesen, bei einem Empfang der Eyckes für hohe Wirtschaftsbonzen.
Er drückte auf den Klingelknopf, nannte auf ein Geschnarr, das eine Frage sein sollte, seinen Namen; man schien diesen zu kennen, denn eine Seitenpforte öffnete sich mit Klicken. Die Düsternis der alten Allee verschluckte ihn, als er auf dem Kiesweg forsch, beinahe zackig, dahinschritt, indes von den dichtgepflanzten Ahornbäumen die Blätter fielen. In dem zu einer Villa aufgedonnerten, verwahrlosten Pförtnerhaus mit den geschlossenen grauen Fensterläden rührte sich keine Seele. Irgendwo fern, in den Tiefen des Parks, schlugen Hunde an. Sonst war nichts zu hören.
Zackig war ihm keineswegs zumute. Das Fieber der Erwartung, jene schwächende Bluttemperatur, machte seinen Kopf dumpf und heiß. Er hatte ein ziehendes Gefühl im Bauch (Damaschke würde „mulmich“ sagen), und in den Knien spürte er eine Leere, so daß die Beine in den auf Hochglanz polierten Röhrenstiefeln sich fast von selbst bewegten. Er wurde ärgerlich, denn sein rechter Arm, unter den er die Aktenmappe mit den Pendelgeräten geklemmt hatte, fing an, in läppischer Weise zu zittern – vielleicht auch, weil er die Tasche allzu krampfhaft an sich gepreßt hielt. Die Verkrampfung nahm zu, je mehr er sich dem Herrenhaus näherte.
Höllriegl hatte zu Uniformhose und Braunhemd mittags noch die khakifarbene Bluse mit Kragenspiegel, Schulterstücken und Ärmelstreifen angezogen. Sie gehörte zur Extramontur und brachte seinen Wuchs gut zur Geltung. Die apfelgrünen Aufschläge zeigten in Silber den Lebensbaum. Als Gesundpendler zählte Höllriegl zu den „nichtbestallten Heilbehandlern“; da er aber bei Wehrmacht und SS im Heildienst gewesen und als Rutengänger ein Parteidiplom erworben hatte, war er im Rang eines Hauptstellenleiters
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