Wenn das der Führer wüßte
Küchenabfälle.
Wenn man Siggas Bericht glauben durfte, so war es am Nachmittag wieder zu Auseinandersetzungen gekommen. Eycke hatte sich wie üblich vor ihr aufgepflanzt, Hände in den Hosentaschen, grätschbeinig und wippend, und sie gerüffelt. Immer das gleiche. Besudlung seiner Ehre, seines Namens, des Schildes derer von Eycke. Sie hüpfe mit jedem ins Bett, auch mit Domestiken, nun sogar mit einem ostmärkischen Kurpfuscher. Sie sei die Fernseh-Hure der Nation, und so weiter. Auch Sigga hatte ihm nichts geschenkt. („Harte Bandagen.“) Vor allem reizte sie etwas bis zur Weißglut, das er mit den Händen tat, schon immer getan hatte, und das im Volksmund „Taschenbillard spielen“ heißt. Nun, er spielte ausgiebig Taschenbillard, und diesmal war es besonders widerwärtig. Weniger also wegen der Schmähungen hatte sie ihn getötet – den Ausschlag gab dieses kindische, unbewußt onanistische Spielchen, das noch dazu bei Eycke äußerst dünkelhaft wirkte. Man würde daher verstehen …
Knud, der weißblonde, ebenso einsilbige wie einfältige Nordlandrecke, der in der Kartei der Befehlsstelle Dienst tat, bekam den Auftrag, die Papiere des Ehepaars Eycke auszuheben und mit dem vorgeschriebenen Sichtvermerk zu versehen. Gewisse Höhergestellte durften nämlich die alten Papiere behalten, ihnen wurde kein „Kneipname“ angehängt, es wäre denn, sie wollten das. Eycke hatte freiwillig einen gewählt, einen besonders alten und klangvollen, aber ausdrücklich nur für die Dauer des Aufenthalts in Niflheim: Hadmar Götz von der Leyen. Die Umwidmung war bereits erfolgt. Die einstige Ulla Frigg von Eycke hieß jetzt „Sigga von der Leyen“, ihr asischer Ehrenname war „Gutrune“. Herr von Eycke hatte sie erst gar nicht gefragt, hatte ihr Einverständnis vorausgesetzt. Das war eine, wenn auch die geringste, von vielen Sticheleien und Kränkungen, die er ihr in der letzten Zeit angetan hatte. Die Zerwürfnisse wurzelten tiefer und waren älter. Sie hingen mit Ullas Fernsehlaufbahn zusammen.
Der Mildibart hatte sein Gemecker beendet, Nummer 18 durfte sich ankleiden und wurde weitergereicht. Der ganze Vorgang war natürlich von sagenhafter Dummheit, aber hätte es Sinn gehabt, Verdacht zu erregen? Wie immer diese Untersuchung ausging – er würde mit den beglaubigten Papieren eines Herrn von der Leyen Weiterreisen. Knud hatte versprochen, ihn und Sigga noch heute „hinüber“ zu bringen, womit der Fliegerhorst gemeint war. Es erhob sich die Frage, wie Sigga Knuds Dienste belohnte. Gut, das mußte in Kauf genommen werden.
Vorläufig war er unter vier Augen Jugurtha, sein alter ehrlicher Name verlor allmählich jede Gültigkeit. Das war ja in grauer Vorzeit gewesen. Als er noch Erd- und Körperstrahlen auspendelte. Linksgedrehte Ellipsen, rechtsgedrehte Ellipsen. Dieser Höllriegl war getilgt, war erloschen – wie Odins Odem. Wie alles andre. Das lag weit zurück, es war versunken.
Ein dünner Mensch mit verwittertem Haudegengesicht und rundem Rücken saß ihm jetzt gegenüber. Zivilist. Im Knopfloch die Abzeichen des NS-Rechtswahrerbundes und des Bundes Deutscher Osten. Scharfe, inquisitorische Blicke. Anscheinend waren die grellen Lampen hier überall obligat. Ein Tonbandgerät war eingeschaltet.
… „Welche Ehrenstrafen machen wehrunwürdig?“ … „Was bedeutet Vervolklichung?“ … „Wer erließ bei den alten Deutschen das Aufgebot zum Heerbann?“ … „Wissen Sie die ungefähre Auflage der DAF-Presse?“ … „Davon hat ‚Arbeitertum’ wieviel?“ … „Wie bestrafen Sie eine Leibeigene, die Sie beim Stehlen ertappt haben?“ … „Mit Vollendung welchen Lebensjahres kann der junge Deutsche durch das Vormundschaftsgericht für volljährig erklärt werden?“ … „Was ist in Ihren Augen das größte Verbrechen?“ … „Wie hieß der Verfasser des Sachsenspiegels?“ … „Es gibt noch sechs andere Spiegel – wie heißen diese?“ …
Alles sehr harmlos, allgemeines Bildungsgut. (Oder war gerade die Leichtigkeit der Fragen eine Falle?) Vielleicht würde bald Knud erscheinen – er hatte zu jedem Zimmer Zutritt – und ihm das verabredete Zeichen geben, falls sich früher eine günstige Gelegenheit zur Flucht ergeben sollte. Wo war Knud? Bei Sigga? Verstohlen sah er auf die Uhr.
… „Was heißt: Die Partei ist Treuhänderin der Volksgemeinschaft?“ … „Der Name des Gauleiters von Süd-Hannover-Braunschweig ist –?“ … „Von Memel-Mitte?“ … „Von Weser-Ems?“ …
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