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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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er hatte es im Rasierspiegel gesehen – vielsagende Blicke. In solch erlauchter Gesellschaft war ein gewöhnlicher Amtswalter der letzte Dreck.
    In der Kantine ging es ebenso einsilbig, steif, vor allem anonym zu, und trotzdem hatten sich schnell die gewissen Ränge herausgebildet. (So war an seinem Tisch zuerst ein rosiger Specknacken mit Bürstchenfrisur aufgetaucht, der sich schlicht als „Deutsche Chemiefaser“, gesprochen: Schemiefaser, vorstellte. Kurz darauf saß dieser funkelnde Wirtschaftsführer an einem andern – vermutlich besseren – Tisch.) Die Stille im Speisesaal wurde nur unterbrochen, wenn ein SS -Mann kereinkam, Front machte, die Hacken zusammenknallte und den rechten Arm hochschnellte. Die Eintopfration mußte man sich am Küchenfenster holen, und zwar jeder, da gabs kerne Extratour, und heute waren zufällig die Eyckes nicht weit von ihm angereiht gewesen, der Obersturmbannführer wie gewohnt hochnäsig und abweisend ins Leere starrend – der Ostubaf pflegte durch ihn hindurchzusehen wie durch Glas. Wie Eycke sich jetzt nannte, war unbekannt, Ulla hieß jedenfalls Sigga. Er hatte sie zweimal im geheimen getroffen und von diesen hastigen Begegnungen, die eigentlich mehr Berührungen waren, das Gefühl von Bedrohtsein zurückbehalten. Sigga sah verfallen aus, aber ihr Siechtum schien ein weiterer Reizpunkt; man hätte ihr etwa ansehen können, daß sie soeben von einer endlosen Umarmung aufgestanden war. Angesichts dieser Sigga verzog man bei Tisch keine Miene, nur die Blicke der Herren, sonst tunlichst geradeaus gerichtet, schweiften verstohlen ab. Jugurtha spürte jedesmal mit Widerwillen, daß sich um dieses Weib eine Atmosphäre von Geilheit zusammerizog. Dicke Luft. Außer den Eyckes warteten noch vier, fünf Ehepaare auf die Weiterreise, durchwegs junge Leute. Kinder sah man nicht, für sie schien es eigene Auffanglager zu geben. Auch Leibeigene waren keine da, die Bedienung besorgten Arbeitsdienstler und Maiden aus Norge.
    Jugurtha war am Schlagbaum angelangt, der den Weg zum Fliegerhorst versperrte. Zwei laserbewaffnete Wachtposten gingen davor auf und ab, die zierlichen, optisch aussehenden Instrumente glänzten schwarz. Wachen waren eine übertriebene Maßnahme, fand er; hier warnten ohnehin überall Aufschriften vor dem Berühren der Gitter. In wenigen Tagen würde er da durchgeschleust werden – oder auch nicht. Wenn nicht, wars ihm auch recht.
    Langsam hatte sich der Gedanke in seinem Hirn eingenistet, daß Eycke ihm nach dem Leben trachtete. Nur widerstrebend hatte ihn der Fatzke in seiner Zweimotorigen mitgenommen, und seinetwegen setzte es, wie er wußte, immer wieder hitzige Auftritte zwischen dem Ehepaar. Der Ostubaf hatte mehrmals versucht, ihn abzubeuteln, er war ja ein ungebetener Gast, immerhin aber Ullas Lebensretter. Und dieser lästige Gast war nun hier – Frau von Eyckes Starrsinn hatte auf der ganzen Linie gesiegt, sie liebte ihn, wenn man die Lust, sich von ihm berühren und besitzen zu lassen, Liebe nennen konnte. Man sollte sich nichts vormachen. Er war einfach der Jüngere, Kräftigere, das bessere Männchen. Dieser Eycke mit seinem Vogelkopf? Ein Brechmittel.
    Er würde um sein Leben und um Ulla alias Sigga kämpfen müssen. Eigentlich machte das gar keinen Spaß. Ob er hier, in Deutschland oder weiß der Kuckuck wo krepierte, war letzten Endes gehupft wie gesprungen. Und krepieren mußte er bald – und Sigga auch. Sie beide waren schwer strahlenverseucht, und das Siechtum hatte sich bereits in dem und jenem angekündigt, die Strahlenschäden fraßen sich unaufhaltsam in die inneren Organe hinein. Das ließe sich zur Not noch eine Weile vertuschen, wenn man bei der Untersuchung Schwein hatte. Allerdings: die Sehstörungen, der Tränenfluß, die Durchfälle, der „fremde Kopf“ … Wars nicht ein Hohn? Er, der geprüfte Radiologe und Heiler, mußte an Strahlen zugrunde gehen, die der Mensch, dieser wahre Teufel der Schöpfung, entfesselt hatte.
    Möglich auch, daß Eycke bei den Lagerärzten etwas gegen ihn anzetteln würde. Geschähe dies, dann müßte er leider plaudern. Dann durfte auch die strahlenkranke Sigga nicht „nach drüben“, nach Niflheim, wie man hier sagte. (Außerdem: Sigga war erblich belastet, hatte bekanntlich Fehlgeburten gehabt.) Eycke, daran zweifelte er nicht, wollte um keinen Preis von ihr lassen, der Mann war und blieb diesem Weib hörig, trotz allem. Die Kinder mußten abgeschrieben werden – von Erda fehlte jede Spur –, um so

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