Wenn das der Führer wüßte
Posen auf den Bänken – nicht sehr viele, und auch vom Personal war nicht viel zu merken. Bald befanden sie sich im Ärztetrakt, alles war weiß und sauber und die fahlblauen Lichter spiegelten sich im Lack.
Vor einer Tür mit der Aufschrift „Röntgenstation“ machte Knud halt und salutierte freundlich. Als Jugurtha öffnete, sah er in dem abgedunkelten Raum Sigga auf sich zukommen. Sie war sichtlich reisefertig und hatte ein Köfferchen bei sich. „Hier sind deine Sachen“, flüsterte sie, „Knud hat sie besorgt.“ Mit diesen Worten warf sie ihm einen dickwattierten und pelzgefütterten Mantel mit hohem Grönländerkragen zu, ebenso eine Pelzmütze, welche Ohrenklappen hatte. Schweigend zog er sich an. „Und Knud?“ fragte er, das Gesicht abgewendet. „Knud kommt später einmal“, sagte sie leise, „er muß noch bleiben – bis zur Sprengung des Lagers.“ Ein Himmelfahrtskommando also.
Die Welle kindischer Freude machte ihn förmlich trunken. Beide sahen nun wie Nordpolfahrer aus. Er lachte Sigga glückstrahlend an und umarmte sie. Aber sie entzog sich ihm. „Beeile dich – Knud wartet.“
Seine Manteltaschen steckten voller Papiere. Draußen auf dem Flur schaute er sie flüchtig durch. Es waren nicht nur alle alten Ausweise vorhanden, zerknittert, schmutzig und blutbefleckt (sogar Senkpiehls Wagenpapiere waren da), auch die funkelnagelneuen. Knud war ein Genie.
„Mein Name ist Ritter Götz von der Leyen mit der eisernen Pratzen“, rief er übermütig lachend, obwohl er sich körperlich mau fühlte (er hatte das einen Augenblick lang vergessen). „Und du bist mein Weib!“
Wieder umarmte er sie; diesmal ließ „Gutrune“ sichs gefallen. Seit der Begegnung mit Axel war er nicht mehr so guter Dinge gewesen. Und „drüben in Niflheim“ würde man ja doch geheilt werden – daran hielt er nun hartnäckig fest. Unternehmend pfiff er durch die Zähne, während sie dem Lagerausgang zustrebten. Knud trug den Koffer, sie beide trabten eng umschlungen hinterdrein.
Es klappte wunderbar. Die Wachtposten blätterten nur oberflächlich in den Papieren, sie schienen befriedigt, daß Knud mit von der Partie war. Wie sonderbar! Auf der einen Seite gab es nichts als Schikanen und Fußangeln, auf der andern einen Leichtsinn, der unwillkürlich Verdacht erregte. (Faktisch: dieser Leichtsinn hatte etwas Unheilverkündendes!) Und doch war ihm plötzlich, als wälze sich von seiner Brust die ungeheure Drud aller Ämter, durch welche er je hindurchgemußt. Tief atmete er die scharfe eisige Luft ein. Hinter dem Tor da begann etwas anderes, etwas völlig Fremdes, und er ersehnte es mit jeder Fiber seines Herzens. Es war die Freiheit – die Freiheit des Tieres!
Am Eingang zum Warteschuppen machte Knud, wie immer sonnig lächelnd, kehrt. Sein strammer Gruß war unpersönlich, er hätte ebenso einem inspizierenden Brigadeführer gelten können. Auch Siggas Abschiedslächeln war nichtssagend. (Gut! Gut! Gut!) Der Herr Heiminsreich alias Hadmar Götz von der Leyen grüßte um so zackiger zurück, denn er war glücklich; beinah wäre er mit dem gewohnten „Heitla“ herausgeplatzt – dieser Gruß gehörte nun längst vergangenen Tagen an.
Die Freiheitsgefühle versiegten auch nicht, als er mit Sigga durch eine hohle Gasse von SS -Männern mußte, die den Korridor besetzt hatten, jeder ein Denkmal der Neuen Ordnung. Nervliches Spießrutenlaufen. Mit jäher Unlust sah er auf manchem Kragenspiegel den aufgerissenen Wolfsrachen. Die Laser-Waffen glänzten im Blaulicht.
Der von Luftschutzlampen sumpfig erhellte Wartesaal war gesteckt voll. Die Wartenden, wie schwarze Klumpen aussehend, hockten oder lagen regungslos auf Bänken und auf dem Fußboden neben ihrem spärlichen Gepäck. Alles schwieg, schien in Gedanken versunken oder zu dösen. Wer weiß, wie lange die schon warteten! (Wieder pries er in Gedanken den Wundertäter Knud, der den unverhofft schnellen Abtransport bewerkstelligt hatte.) Eine nervöse Spannung lag in der Luft. Dieses Fluidum war fast zu tasten, es teilte sich jedem mit, der auf den großen Sprung ins Ungewisse wartete. Zumindest kam es Jugurtha so vor, weil er mit seinen Strahlenspürersinnen alles viel intensiver in sich aufnahm als andere. Dazu die totale Nachrichtensperre seit Tagen – das halte ein Mensch aus! Sigga hatte es von Knud, daß bis vor kurzem in regelmäßigen Durchsagen die militärische Lage erläutert worden war, dann auf einmal trat Funkstille ein. Überall gähnten
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