Wenn das der Führer wüßte
wohnten am andern Ende des Lagers in den Baracken der Verheirateten. Ein etwas weiter Weg, den der Herr Obersturmbannführer vielleicht früher, als ihm lieb war, beenden würde. Die Tonnen da waren ein gutes Versteck. Doch den Schuß, wenn nicht zwei, würde man im ganzen Lager hören.
Also Laser! Laser zischte nur wie ein Schneidbrenner. Schade – Herr von Eycke würde hernach nicht sehr hübsch aussehen, Laser-Tote sahen nicht schön aus. Seinen Erdenrest könnte man ja feierlich ins Meer streuen. – Es war nötig, von Sigga die Waffe zu kriegen, und zwar sofort …
Er trat in die spärlich beleuchtete Stube und sah auf seinem Platz ein Kuvert liegen. Der Goldfasan schnarchte auf der Pritsche. Das Mittagsschläfchen. Der Trakehner Hengst saß vor dem Steckschach und spielte gegen sich eine Partie.
Abgezogener Text, Vorladung der Befehlsstelle. Morgen um acht beim Lagerarzt antreten. Nüchtern. Frühharn mitbringen.
Hier war er nicht einmal mehr Siggas Phantasiewesen Jugurtha, sondern bloß eine Nummer. Sie hatten seine rassische Blutziffer ermittelt, den Urin zentrifugiert und analysiert, Finger-, Sohlen- und Fersenabdrücke genommen, ein EKG gemacht, Magensaft ausgehebert, eine Arsch- und Schwanzbeschau veranstaltet, ihn – Albin Totila Höllriegl alias Jugurtha – auskultiert, perkutiert, gewogen, gemessen, serochemisch untersucht, seine Reflexe geprüft, den Augenhintergrund abgeleuchtet … Was noch, was noch? Er hatte Nummer 18.
Und jetzt zirkelte und fingerte ein bebrillter Milchbart in Ärztekittel, Stiefelhose und Schaftstiefeln schon die längste Zeit an seinem Schädel herum. Wie bei einem Polizeiverhör waren drei grelle Lampen direkt auf sein Gesicht gerichtet. Es war stinkheiß in dem Zimmer, und es böckelte. Ihn fror – niedriger Blutdruck, Untertemperatur. Seitlich im Schatten saßen an einer hufeisenförmigen Tafel drei Uniformierte (selbstverständlich SS ), ihre Waffenröcke, Koppel und Mützen hingen am Kleiderständer. Sie stierten Löcher in die Luft, indes der Milchbart mit sanft meckernder Stimme – sie erinnerte an ein Volksinstrument aus Tirol: das Hölzerne G’lachter – einer Schreibkraft wohl weiblichen Geschlechts, denn eine spanische Wand stand davor, seine Untersuchungsergebnisse in die Maschine diktierte. Alles wickelte sich enorm geschäftsmäßig ab. Im Hintergrund warteten weitere nackte Männer auf die Prozedur.
„– dinarisch oder vorwiegend dinarisch … blutartlich dunkel-ostischer Einschlag … Schädelindex 84 Komma 21 … Gesichtsindex 100 Komma 81 … deutlich steilhinterhäuptig … Seitenansicht – Doppelpunkt – sogenannter Tschakokopf … Nase und Kinn überstark entwickelt – Komma – Akromegalieverdacht … Hinterhauptshöcker gut durchtastbar … Gesichtsschnitt – Doppelpunkt – Stirn flächig zurückgeneigt – Komma – hoch wirkend … Überaugenbögen gratartig … Nasensattel seicht – Komma – Nase kräftig nach vorn springend … bei Seitensicht Septum sichtbar … Mund derb gezeichnet – Komma – paratypisch für ostmärkische Lautbildung … Unterkieferwinkel stumpf … hintere Linie des Unterkieferastes nicht besonders steil … Vorderansicht – Doppelpunkt – Stirnhöcker gut ersichtlich … Nahtverdickung in Stirnmitte schwach metopisch … Haarfarbe dunkelbraun – Komma – Gespinst lockig … Iris graublau … weite und hohe Lidspalte – Komma – Oberlider faltenlos … Jochbeine und Jochbögen unauffällig –“
Die Instrumente klirrten, das Schreibmaschinengeknatter machte schläfrig, die Beisitzer schauten unbeteiligt ins Leere und streckten sich mit knackenden Gelenken. Soeben griff der Milchbärtige sein Gebiß ab. Zahnstatus. Wozu das Ganze? Saublöd. Und der tierische Ernst! Abgesehen, daß hier Daten gesammelt wurden, die samt und sonders in seinem Rassepaß standen. Oder erhielt man die Papiere nicht zurück? In seinem Fall war das piepe.
Seit gestern abend besaß er nämlich die von der Lagerleitung ordnungsgemäß vidierten Ausweise des Herrn Inspekteurs für Wirtschaftsfragen im OA Fulda-Werra Erik Meinolf von Eycke (Gott hab ihn selig), nur lauteten sie auf einen andern Namen. Grauenerregend hatte der Eycke ausgeschaut, wirklich und wahrhaftig ein Häufchen Unglück. Sie – er, Sigga und Knud – hatten das, was an dem Obersturmbannführer sterblich gewesen war (seine Seele mochte jetzt Walvater umarmen), nicht ins Meer gestreut, sondern in einen Eimer gebeutelt, in eine Tonne für
Weitere Kostenlose Bücher