Wenn das Glück dich erwählt
einen Furcht erregenden Anblick, zweifellos, aber irgendwie waren sie auch Mitleid erregend.
»Essen«, antwortete Scully. Er sagte ein paar Worte in einer abgehackten, gutturalen Sprache, und der Mann auf dem besten Pferd ritt ein paar Schritte näher, um zu antworten. »Es sind Chippewa«, erklärte Scully, bevor er in den hinteren Teil des Schlittens griff und einen Jutesack herauszog, der bis dahin neben Abigail gelegen hatte. Mit einer Hand hielt er den Sack hoch, und nach kurzem Zögern kam der Indianer noch näher heran und griff nach dem Sack. Sein Gesichtsausdruck, als er ihn öffnete und einen Blick hineinwarf, wäre Evangeline vielleicht komisch vorgekommen, wenn sie nicht alle drei in unmittelbarer Lebensgefahr gewesen wären.
»Was ist das?«, fragte sie. Im Grunde genommen interessierte es sie nicht, aber wenn sie nervös war, neigte sie dazu, zu viel zu reden. Der Klang einer Stimme beruhigte sie, selbst wenn es ihre eigene war.
»Der Weihnachtsschinken«, antwortete Scully mit einem Seufzer des Bedauerns.
Die Indianer formten einen kleinen Kreis, um sich miteinander zu beraten. Evangeline wartete, und ihr Herz klopfte so hart und schnell, dass sie nicht fähig war, auch nur ein Wort zu sagen.
Irgendwann ritt einer der Chippewa zu ihnen herüber, musterte Evangeline prüfend, schenkte Abigail ein schwaches Lächeln und murmelte irgendetwas. Scully beantwortete die unverständliche Bemerkung mit einer eigenen, die für Evangeline genauso unergründlich war, und dann hob der Indianer einen Arm und stieß einen schrillen Schrei aus, der das Blut in ihren Adern stocken ließ.
Evangeline rechnete schon fest damit, skalpiert zu werden - und das hielt sie noch für ziemlich optimistisch -, aber im nächsten Augenblick wendeten die Straßenräuber ihre Pferde und galoppierten unter schrillen Schreien in den nahen Wald hinein.
Aufatmend sank Evangeline an Scullys Schulter, weil ihr vor Erleichterung so schwindlig war, dass sie das Bewusstsein zu verlieren fürchtete, und es kam ihr ganz natürlich vor, dass er einen Arm um ihre Schultern legte und sie für einen Moment beruhigend an sich drückte. »Sie sind jetzt fort«, sagte er, als ob sie das nicht selbst sehen könnte. »Sie sind weg.«
Sie versteifte sich, weil ihr plötzlich einfiel, dass sie einem anderen versprochen war. Sie hatte kein Recht, sich an Scully anzulehnen und schon gar nicht, es zu mögen. »Es geht mir gut, Mr. Wainwright«, sagte sie ein wenig spitz, »aber trotzdem vielen Dank für ihre Sorge.«
»Das«, bemerkte die durch nichts zu erschütternde Abigail, »war wirklich toll!«
»Wie alt, sagtest du, bist du?«, scherzte Scully, während er sich mit erhobenen Brauen nach der Kleinen umsah. »Fünfunddreißig? Vierzig?«
Abigail war entzückt. »Ich bin sechs!«, rief sie.
Die Maultiere würden sich nur mit sehr viel gutem Zureden dazu bewegen lassen, den Weg fortzusetzen, und Scully stieg vom Schlitten, um sie zu beruhigen, nachdem er Evangeline die Zügel übergeben hatte. Aber die ganze Zeit hörte er nicht auf, mit Abigail zu plaudern, die noch immer ganz begeistert war. Es war Evangeline ein kleiner Trost, dass das Kind noch viel zu jung war, um sich eine richtige Vorstellung von dem furchtbaren Schicksal machen zu können, das sie alle hier befallen konnte.
Sie selbst dagegen hätte gern geweint. Es wäre eine willkommene Erleichterung gewesen nach all dem Reisen, den Unbequemlichkeiten und dem ständigen Bemühen, tapfer zu wirken. Aber natürlich wagte sie ihrem Impuls nicht nachzugeben; wenn sie in Tränen ausbrach, würde Abigail sehr erschrocken sein, und Scully würde sie für eine dieser Frauen halten, die beim geringsten Anzeichen von Problemen jammerten und wehklagten. Seine Meinung war ihr wichtig, da sie immerhin einen ganzen Winter mit ihm in ihrer Nähe verbringen würde.
Gegen Mittag hielten sie neben einem zugefrorenen Bach, um die Maultiere ausruhen zu lassen und etwas von den Vorräten zu essen, die June-bug ihnen morgens eingepackt hatte. Scully benutzte den Kolben seines Gewehrs, um das Eis auf dem Bach zu brechen, schirrte dann die Tiere aus und führte sie die schlüpfrige Uferböschung hinunter, damit sie trinken konnten.
»Mama«, wisperte Abigail und zupfte an Evangelines wollenem Umhang. »Mama!«
Evangeline merkte, dass ihre Tochter sie dabei ertappt hatte, wie sie Scully beobachtete, und errötete ein bisschen. »Ja?«, fragte sie.
»Ich muss mal«, flüsterte Abigail.
Das war nicht
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