Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
verdammte Minute? Bei dem, was auf dem Spiel steht – ich könnte in den Knast wandern, ist dir das eigentlich klar?«
    Sie saß aufrecht neben ihm. Ihre Haltung war tadellos, ihre Augen waren hinter einer übergroßen Sonnenbrille mit limonengrünem Gestell verborgen. Sie sagte sehr deutlich und akzentuiert: »Du wanderst nicht in den Knast.«
    Worauf er – es war absurd, und er wusste genau, dass er sich zum Idioten machte – brüllte: »Doch, verdammt, du wirst sehen!«
    Jetzt befindet sich sein Magen im freien Fall, als er die große, geflieste Halle des Gerichtsgebäudes durchquert – sie ist so groß, dass man mit einem Lastwagen hindurchfahren könnte – und die reichverzierte Treppe hinaufgeht, mit ihren handbemalten Kacheln aus Tunesien (als würden die ihn beeindrucken), dann rechtsherum, wo die Halle sich zum rasenbewachsenen Innenhof öffnet, und schließlich durch einen weiteren Korridor zum Gerichtssaal 2. Die Tür ist riesig, ein gewaltiges Stück dunkles, gewachstes Holz, eingesetzt 1929, als dieses Gebäude errichtet wurde, und sie öffnet sich zu einem Gerichtssaal aus einer anderen Zeit: gewölbte Decke, Holztäfelung, Bänke mit hohen Lehnen, eine hinter der anderen, so dass sie aussehen wie Kirchenbänke. In der Kirche des Gesetzes. Er sieht die Gerichtsstenographin hinter ihrem Tisch an der Seite des Saals, die Empore in der Mitte der Stirnseite, wo der Richter, wie er annimmt, erscheinen wird, wann es ihm gefällt, und den Gerichtsdiener mit seinem Schmerbauch, dem stolzierenden Gang und einem Gesichtsausdruck, aus dem äußerste Gleichgültigkeit spricht: Niemand ist unschuldig, niemand.
    »Hier entlang«, murmelt Sterling und nimmt seinen Arm. Anise bleibt einen Schritt hinter ihm, und er strafft die Schultern und geht durch den Mittelgang nach vorn, als schritte er bei der Premiere seines Films über den roten Teppich. Sollen sie doch alle glotzen – was kümmert es ihn? Die erste, die er sieht, ist Alma, Alma Boyd Takesue, in der Mitte der zweiten Reihe, und sie macht ein Gesicht wie ein Scharfrichter. Sie hebt den Kopf und wirft ihm einen kurzen bösen Blick zu, bevor sie sich an Sickafoose wendet, der wie eine Holzpuppe neben ihr sitzt, und wie gern er sich ihn mal vornehmen würde, nur für eine Minute hinter verschlossenen Türen oder in irgendeiner Gasse, Herrgott, ja, aber Sterling führt ihn zu einer Bank ganz vorn, wo er dem ganzen Mob den Rücken kehren wird, und für einen Augenblick will er sich abwenden, aber dann besinnt er sich und schiebt seinen Hintern über das abgewetzte, polierte Holz, und Anise streicht ihr Kleid glatt und setzt sich neben ihn. Und sie wenigstens sieht gut aus: Sie hat die Augen geschminkt und ein wenig Lippenstift aufgelegt, nicht zuviel, denn eigentlich braucht sie das gar nicht, ihr Kleid ist weiß – die Farbe der Reinheit, der Unschuld und des Respekts – und reicht bis zu den Schäften der kirschroten Cowboystiefel, und ihr Haar fällt ihr in Locken über die Schultern wie ein Dschungel. Er spürt Stolz in sich aufsteigen. Anise Reed. Die Schönheit, die Tierfreundin, die Sängerin – sie gehört ihm und nicht ihnen, nicht dem aufgeblasenen Gerichtsdiener oder Tim Sickafoose oder Ranger Rick oder dem Richter, der jetzt durch die Tür in der Stirnwand eintritt und aussieht wie der Diktator eines Landes der Dritten Welt, von dem keiner je gehört hat, und was ist er überhaupt, ein Mexikaner? Armenier?
    Es gibt natürlich Präliminarien, wie bei einem Boxkampf. Andere Fälle, andere Leute. Aufstehen, hinsetzen, ja, nein. Aber dann wird der Fall »Vereinigte Staaten von Amerika gegen David Francis LaJoy« aufgerufen, und unwillkürlich macht sein Herz einen Satz. Man darf nie Schwäche zeigen, das weiß er und überprüft seine Muskeln, einen nach dem anderen, er strengt sich an, mit festem Blick und steinerner Miene dazusitzen. Der Staatsanwalt, ein dünnes, einfältig grinsendes Bürschchen, ein Schnösel mit Schnöselfrisur und einem karierten, eine halbe Nummer zu kleinen Anzug, der Tim Sickafooses Doppelgänger sein könnte, ruft Ranger Rick in den Zeugenstand, und dann muss das Gericht sich anhören, wie er langsam und methodisch erklärt, dass sein Verdacht durch den beratenden Ornithologen geweckt wurde und er schließlich das Boot des Angeklagten betreten und ihn festgenommen hat. Dann ist Sterling an der Reihe. Er erhebt sich von seinem Platz, knöpft sich Ranger Rick vor und geht noch mal alle Details mit ihm durch, bis dieser

Weitere Kostenlose Bücher