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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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sie), und darum hatte sie einen hageren alten Mann erwartet mit Schildkrötenhals, zusammengekniffenen Augen, weißem Haar, Overall und vielleicht einem Strohhut. Doch dieser Mann sah ganz anders aus. Seine Haare waren lang und stellenweise von der Sonne ausgebleicht, und als er sie ansah, war sein Blick alles andere als der eines alten Mannes. »Mr. Russell?« fragte sie langsam und unsicher, als sie noch drei Meter von seinem Tisch entfernt war, denn er konnte nicht Mr. Russell sein … oder doch?
    Er war es. Und er hatte ein Lächeln, das wie ein Radiergummi wirkte: keine Sorge, keine Angst. »Rita?« Er schob die Zeitung beiseite und richtete die Augen (ein ins Grau spielendes Blau mit kleinen goldenen Flecken) über den Rand der Lesebrille hinweg auf sie. »Sind Sie Rita?«
    Sie trug Jeans, Flipflops und eine türkise Bluse mit kurzen Ärmeln und tiefem Ausschnitt und hatte sich, weil sie nicht wusste, worauf sie sich einstellen sollte, ein bisschen geschminkt. Das Haar hatte sie aufgesteckt, weil sie dachte, dass Köchinnen es so trugen. Sie war auf die Minute pünktlich und ging unterwegs zum Café noch einmal die wenigen Rezepte durch, die sie kannte – ein paar Currygerichte, die der Schlagzeuger ihr beigebracht hatte, Hähnchenbrust Cordon bleu, Muscheln in Weinsauce –, aber im Grunde glaubte sie nicht, dass etwas dabei herauskommen würde. Wenn er sie nach ihrer Berufserfahrung fragte, würde sie ihm sagen müssen, dass sie keine Profiköchin war und eigentlich immer nur für ihre Tochter und ihren Exmann und hin und wieder für Gäste gekocht hatte, aber wenn sie ehrlich war, aßen sie oft genug Sachen, die sie nicht zubereitet hatte: Hamburger, Pizza, Chicken Wings – sie hatte eine Leidenschaft für Chicken Wings. »Ja«, sagte sie und erwiderte das Lächeln, »das bin ich.«
    »Setzen Sie sich«, sagte er, faltete die Zeitung zusammen und reichte ihr die Speisekarte. Er nahm sich einen Augenblick Zeit und richtete das Besteck auf dem Platzdeckchen aus Papier aus, das auf der Vorderseite mit dem Namen des Cafés und einem Bild des Besitzers, eines dicken Mannes mit Glatze, und auf der Rückseite mit Rätseln für Kinder bedruckt war. »Zwei Dinge«, sagte er schließlich. Seine Stimme klang wie ein fernes Donnergrollen, und er richtete seine krakelierten blauen Augen auf sie, als könnte sie jeden Augenblick aufspringen und wie ein Vogel davonfliegen. »Nennen Sie mich Bax. Und Sie sind eingeladen.« Eine weitere Pause. »Und ich muss sagen, ich habe nicht damit gerechnet, dass Sie eine so … eine so … Was will ich eigentlich sagen?«
    Das war der Augenblick, in dem ihr unbehaglich zumute wurde. Hatte er was mit ihr vor, war es das? Ging es bei diesem Job um irgendwas Halbseidenes? Eine Insel? Mit Cowboys? Was hatte sie sich eigentlich gedacht? »Ich weiß nicht«, hörte sie sich sagen. Und jetzt war sie diejenige, die mit Messer, Gabel und Löffel herumspielte und Kaffeebecher und Platzdeckchen hin und her schob wie Schachfiguren. Sie sah von der Karte auf und versuchte, ihrer Stimme einen munteren Klang zu geben. »Was ist denn gut hier?«
    Er schien den Faden verloren zu haben, doch er starrte sie noch immer an, musterte sie mit einem Blick, der kaum misszuverstehen war. Es dauerte einen Moment, doch dann sagte er: »Ich mag das Reuben-Sandwich. Sie sind doch nicht eine von denen, die dies nicht essen und jenes nicht essen, oder? Ich meine Fleisch und so.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Und Sie können kochen?«
    Sie zählte alle Gerichte auf, die ihr einfielen, von Makkaroni mit Käse bis zu Hummer Thermidor, doch er unterbrach sie.
    »Sie verstehen nicht. Ich spreche von Lammfleisch – im Eintopf, als Frikassee, geschmort, gegrillt, dazu einen Topf Bohnen, rohe Zwiebeln, einen Stapel Tortillas. Zum Frühstück Pfannkuchen, Eier und noch mehr Lammfleisch. Wir sind zu siebt. Während der Schur doppelt so viele.«
    »Wie in einer Cafeteria«, sagte sie, und er lachte.
    Die Kellnerin kam, und sie bestellten zwei Reuben-Sandwiches und einen Eistee für Bax sowie eine Diät-Cola für Rita. Sie sahen der Kellnerin nach und blickten beide gleichzeitig auf, als ein älteres Paar hereinschlurfte, beide mit winzigen Schritten, als wären Betonblöcke an ihren Füßen befestigt, und sich schnaufend in die Nische gegenüber setzten. An der Längsseite des Raums stand eine lange Theke, an der ein halbes Dutzend traurige Männer saßen, die Ellbogen aufgestützt, den Blick ins Unbestimmte gerichtet,

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