Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen
sagte ich. »Das ist der große Unterschied zwischen uns und euch. Das Anatomische kommt erst in zweiter Linie.«
Er ging nicht darauf ein.
»Dein Buch muß fertig werden! Hier schaffst du das nicht. Ergo: Du mußt verreisen. Abhauen. Einfach unerreichbar sein!«
Er setzte hinzu: »Was mich betrifft - ich bekomme dich ja kaum noch zu sehen, auch wenn du hier bist!«
Etwa verletzte Eitelkeit? Oder Fürsorge? Oder …!
So raffte ich mich auf und teilte Angela mit, daß ich nach Garmisch fahren würde.
»Wann?«
»In zwei Tagen! Ich muß an meinem Buch arbeiten. Hier habe ich nicht die Ruhe dazu!«
Das Engelchen sagte: »Ich komme mit! Hab keine Angst, ich schwöre dir, ich werde dich nicht stören! Wenn ich in Berlin bleibe, bring‘ ich mich um!« Bis jetzt hatte sie noch keinen Selbstmordversuch gemacht, aber er war eigentlich schon seit langem fällig.
Ich besprach die Situation mit Herma und der Schauspielerin, sie erklärten einstimmig: »Sie müssen sie mitnehmen!«
Ich schlug vor, daß eine von ihnen mitreisen und sich um das Engelchen kümmern sollte – aber die Schauspielerin hatte ein Engagement in Aussicht, und für Madame Herma stand das Weihnachtsgeschäft vor der Tür.
Und mein Buch? Auch ich hatte einen Beruf. »Das geht doch mit Leichtigkeit«, meinten die beiden.
Zum Schluß ging ich zu Engelchens Arzt und trug ihm das Problem vor.
»Fahren Sie allein«, sagte er, und ich atmete auf. Aber er setzte hinzu: »Falls Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können. Sie sind für diese arme Frau offensichtlich der letzte Halt!«
»Wenn sie nach Garmisch mitkommt, das wird ihr helfen? Sie sind sicher?«
»Es wird zumindest nicht ärger werden. Helfen?«
Der brave Doktor lächelte. »Können Sie ihr einen Mann herzaubern?«
Es muß meine Verzweiflung gewesen sein, die mir die Idee eingab.
»Ja«, sagte ich. »Das kann ich!«
Der abschüssige Hang funkelte in der Sonne, als wäre sein Weiß mit stahlblauen, orangefarbenen und gläsernen Splittern durchsetzt. Ich atmete den ersten, den eisig berauschenden Kuß des Winters ein.
Ein paar gefrorene Flocken fielen lautlos neben mir nieder und zerstäubten – ich sah auf, ein Eichhörnchen sprang von Ast zu Ast.
Das Hotel stand hoch oben, dicht beim See, mit Blick auf die glitzernden Zacken und Schrunden der Gebirgskette. Garmisch lag im Tal, man fuhr eine gute halbe Stunde mit dem Schlitten hinunter.
Bevor ich noch ausgepackt hatte, sagte ich zu Angela: »Ich muß ins Dorf zum Friseur – kommst du mit?«
Zum Friseur? Wozu, warum? Sie reagierte, wie ich erwartet hatte; sie kam nicht mit.
In der Blumenhandlung am Marktplatz gab ich den Auftrag, dem Engelchen zwei Wochen lang täglich einen Rosenstrauß zu schicken. Auch sonntags!
Am Sonntag geht es nicht, sagten sie. Aber als ich erklärte, es gäbe noch einen anderen Blumenladen, und da sich die Sache auf zweihundert Mark stellte, ging es auch am Sonntag.
»Die Dame wird sich sicher erkundigen, von wem die Blumen kommen. In dem Moment, in dem Sie Auskunft geben oder irgendeine Andeutung machen, sind die Rosen abbestellt. Ist das klar?«
Mit schön frisiertem Haar erschien ich wieder im Hotel. Der erste Strauß wurde am Nachmittag geliefert und machte überhaupt keinen Eindruck. »Es war keine Karte dabei«, sagte das Engelchen, »aber die Rosen sind sicher von den Mädels.« Herma war eine Vierzigerin und die Schauspielerin auch kein Kind mehr, doch bei Engelchen hießen sie die Mädels.
Sieben rote Rosen, das Engelchen steckte sie gleichgültig in eine Vase.
Die nächsten sieben Rosen kamen am folgenden Vormittag und waren hellgelb. Keine Karte dabei. »Komisch«, sagte das Engelchen und zog dabei ihre Stirn kraus.
Das dritte Mal waren die Rosen zart rosa.
Der nächste Strauß war bunt gemischt. Angela fuhr nach Garmisch zum Friseur. »Damit du dich nicht schämen mußt, wie zerzaust ich aussehe.«
Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, daß das Engelchen nach achtundzwanzig Rosen wieder auflebte, aber sie war endlich an irgend etwas interessiert, auch wenn es nur das Rätseln war, das ihr die Blumen aufgaben. Ich konnte jetzt wenigstens in der Nacht ungestört am Schreibtisch sitzen und arbeiten. Manchmal trat ich aus dem überheizten Zimmer auf den Balkon hinaus. Die Welt war stumm und schweigend, in Winter und Schnee versunken. Von der Alpspitze flimmerte eine winzige Laterne. Aber vielleicht war es auch ein Stern.
Wenn ich zu frieren begann, ging ich wieder hinein und
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