Wenn der Golem erwacht
durch Berlin gegondelt.«
Einars spöttische Bemerkung rief Empörung in mir hervor. Ich fühlte mich ungerecht behandelt wie so oft früher, als wir Kinder gewesen waren.
Zu lange durch Berlin gegondelt?
Unsinn!
Sie hatten mich noch in derselben Nacht erwischt …
Der Koffer ist in Sicherheit, zumindest einstweilen. Mit diesem beruhigenden Gefühl steuere ich den VW Bora in Richtung Wilmersdorf wo ich mich unter dem Namen ›André Höhler‹ in einer kleinen Pension eingemietet habe.
Angeblich bin ich ein Handlungsreisender, der für einige Wochen in Berlin zu tun hat. Dank guter Kontakte aus alten Grenzschutztagen habe ich einen kompletten Satz Papiere auf den Namen ›Höhler‹, fast so gut wie echte. Auch der Wagen ist auf diesen Namen angemietet.
Aber ich weiß, dass die Auswertung der Videoaufnahmen aus der Tiefgarage meine Tarnung auffliegen lassen wird. Ich will nur meine wenigen Sachen aus der Pension holen, und dann nichts wie weg. Den Mietwagen werde ich einfach irgendwo am Straßenrand zurücklassen.
Im Licht einer Straßenlaterne taucht vor mir das L-förmige Gebäude der Pension auf. Das Haus liegt in einem ruhigen Ortsteil, umgeben von einer paar alten Villen. Kein Mensch scheint auf der Straße zu sein. Am Rand der Fahrbahn parken zahlreiche Fahrzeuge. Einige davon kenne ich. Ihre Besitzer wohnen auch in der Pension.
Ich halte an, stoße rückwärts in eine Parklücke, stelle Motor und Scheinwerfer ab. Doch ich steige nicht sofort aus. Die nächsten Schritte wollen gut überlegt sein. Ein falscher Schritt kann mich in Gefahr bringen. Mich und jemand anderen. Lange Minuten bleibe ich hinter dem Steuer sitzen und denke nach, entwerfe einen Plan.
Als ich schließlich aussteige, merke ich, wie angebracht Vorsicht ist. Und wie unvorsichtig ich gewesen bin, als ich beschloss, meine Sachen aus der Pension zu holen …
Kaum aus der Autotür, werde ich von mehreren Gestalten umringt, die wie aus dem Nichts vor mir auftauchen. Sie müssen sich hinter den parkenden Wagen verborgen haben. Die Pistolen in ihren Händen, Glock îy und SIG-Sauer P228, deuten auf mich. Einer von den Männern ist Martin Knaup. Er hält seine Waffe mit beiden Händen und zielt auf meine Stirn. Ich weiß, dass es ihm nichts ausmachen würde abzudrücken.
»Ende der Fahnenstange!«, sagt er in seiner seltsam abgehackten Art. »Wo ist der Koffer, Arved?«
Ich zwinge mich zu einem Lächeln, obwohl mir zu nichts weniger zumute ist. »Hallo, Martin. Was für ein überraschendes Wiedersehen!«
»Wo ist der Koffer?«, wiederholt er, stur wie ein Roboter.
Ich lächle noch immer, rein mechanisch. »Keine Ahnung, wovon du sprichst.«
Ein kaum merkliches Zeichen Knaups, und einer seiner Leute zieht mir die Pistole von hinten über den Schädel.
Ich taumle nach vorn, werde aufgefangen. Jemand reißt meine Hände auf den Rücken und legt mir Handschellen an.
Man schleppt mich über die Straße, stößt mich in das Heck eines neutralen Lieferwagens und schlägt die Hintertür zu. Keine zehn Sekunden später setzt der Wagen sich in Bewegung.
Und ich weiß, dass ich verloren habe.
21
D as erste, was ich mit noch geschlossenen Augen wahrnahm, war ein sanftes Rütteln im Verein mit einem leisen Brummen. Ich lag auf hartem Untergrund, und als ich mich bewegte, stieß ich mir den Hinterkopf an. Als ich die Augen öffnete, flirrte über mir das trübe Licht einer faustgroßen, ovalen Lampe. Die einzige Beleuchtung in dem kleinen, fensterlosen Raum. Der Innenraum eines Lieferwagens.
Ich lag auf dem Boden in der Mitte. Auf den seitlichen Pritschen saßen drei Männer in dunklen Anzügen. Zwei von ihnen spielten lässig mit den SIG-Sauer-Pistolen, die sie wie zufällig in den Händen hielten.
Der dritte Mann war Martin Knaup, und er bedachte mich mit einem spöttischen Lächeln. »Gut geschlafen, Arved? Wir dachten schon, du wärst hinüber. Nicht, dass ich es bedauert hätte. Aber es hätte unsere Pläne ein wenig durcheinander gebracht.«
Mein Hinterkopf schmerzte, und ich wollte ihn vorsichtig betasten. Es ging nicht. Handschellen fesselten meine Hände auf den Rücken. Ein zweites Paar Handschellen kettete meine Fußgelenke zusammen.
Verwirrt versuchte ich, mir über meine Lage klar zu werden. Knaup, seine bewaffneten Helfer, der Lieferwagen – alles war so wie in jener Nacht, als sie mich vor der Pension abgefangen hatten. Aber das war Vergangenheit, lag viele Wochen zurück, versuchte ich mir klarzumachen. Ich hatte
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