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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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aber schon wenige Tage später wieder nach Berlin zurück, heimlich, um auf eigene Faust zu ermitteln.
    Ich beschatte meinen Bruder, beobachte ein abendliches Treffen zwischen Einar und Robert Fuchs. Von da aus fährt Fuchs zum Potsdamer Platz. Ich verfolge ihn bis in die Tiefgarage unter dem INTEC-Tower.
    Etwas riss mich aus der Erinnerung und aus dem langen Tunnel, durch den ich schwebte, einem fernen warmen Licht entgegen. Dieses Licht schien mir Ruhe und Geborgenheit zu versprechen. Ich war enttäuscht, stattdessen in die grelle Deckenlampe über meinem Bett zu starren. Gestalten in Weiß huschten hin und her, bearbeiteten meinen Körper, riefen sich Anweisungen und Bemerkungen zu, die mein Verstand kaum wahrnahm.
    Nur kurze, aus dem Zusammenhang gerissene Bruchstücke blieben hängen: »… Dosis doch zu hoch …« – »… kurz vor dem letalen Exitus …« – »… Herzstillstand …« – »… Wiederbelebung einleiten …« – »… negativ … keine Reaktion …« – »… verlieren den Patienten …«
    Meine Ohren hörten alles wie durch eine dicke Wattschicht. Meine Augen versuchten vergebens, den Gestalten feste Konturen und klare Gesichter zu geben. Meine Sinne waren unfähig, die einlaufenden Informationen zu verarbeiten. Alles zerfloss zu einem Brei aus dumpfen Lauten und verschwommenen Bildern.
    Irgendwann wurde es anders, ergaben die Laute wieder einen Sinn, setzten flimmernde Bilder sich zu den Umrissen des Krankenzimmers zusammen. Der Raum lag in einem Halbdunkel, und an meinem Bett saß die rothaarige Frau – Ira.
    »Wieder bei klarem Verstand?«, fragte sie. »Wir hatten ganz schön Mühe, dich am Leben zu halten. Dabei weiß ich gar nicht, ob ich froh über das Ergebnis bin.«
    »Wieso?« Meine Stimme klang so matt, wie ich mich fühlte.
    Sie hielt ihre rechte Hand mit dem Gelenkverband vor mein Gesicht. »Du warst nicht gerade nett zu mir, in jener Nacht. Seitdem habe ich ziemliche Probleme mit der Hand.«
    »Verzeih, dass ich mein Leben retten wollte!«
    Ira setzte ein falsches Lächeln auf. »Schon vergessen.«
    »Da wir gerade so nett plaudern: Könntest du mir sagen, was ihr mit meinem Kopf angestellt habt?«
    Verschwörerisch hielt sie einen Zeigefinger vor ihre roten Lippen. »Vorsicht, damit Dr. Kranz keinen Wind davon bekommt!«
    »Wovon?«
    »Eigentlich sollte Rudolf durch den neurochirurgischen Eingriff nur deine Erinnerung aktivieren. Dein Bruder war ganz versessen darauf herauszufinden, wo du diesen Koffer versteckt hast. Aber Rudolf konnte es nicht lassen und hat ein wenig mit dir herumexperimentiert.«
    »Operation Golem«, sagte ich heiser. »Oder Projekt Balmung, wie es die Nazis nannten.«
    Überrascht riss Ira die Augen auf. »Du weißt davon?«
    »Ja«, antwortete ich knapp. »Ich weiß, dass dein Rudolf, mag er nun Baumes oder Ambeus heißen, mit Hilfe der Staatssicherheit untergetaucht ist. Und ich weiß, dass er für die Stasi an der Golem-Sache gearbeitet hat, auf dem alten Gut in der Uckermark. Hat Einar keine Ahnung, was ihr mit mir angestellt habt? Ich meine, dieses Radar in meinem Kopf und die Fähigkeit, Dinge im Dunkeln zu erkennen.«
    Ira seufzte wie ein hilfloses Schulmädchen. »Rudolf hat auf eigene Faust gehandelt. Er ist einfach nicht zu bremsen, wenn ein geeignetes Objekt vor ihm auf dem OP-Tisch liegt.«
    »Ein geeignetes Objekt? Wofür?«
    »Um mit dem Golem voranzukommen. Die so genannte Wende hat seine Forschungen um Jahre zurückgeworfen. Jetzt aber, wo er neue Geldgeber hat, arbeitet er mit Hochdruck an der Vervollkommnung des Golems.«
    »Wer sind diese Geldgeber?«
    Hätte Ira die Frage beantwortet, wäre ihr dazu die Zeit geblieben? Vermutlich nicht, aber sie kam gar nicht dazu. Die Zimmertür wurde geöffnet, und die hellen Deckenlichter flammten auf. Ambeus und seine beiden weiß gekleideten Begleiter traten ein und sahen mich neugierig an.
    »Du hast das Signal gegeben, Ira«, sagte der Professor. »Wie lange ist er schon bei Bewusstsein?«
    »Erst wenige Minuten.«
    »Und? Was sagt er?«
    »Nur Belangloses. Er ist noch ziemlich verwirrt.«
    »Kein Wunder, so nah, wie er am Tod vorbeigeschrammt ist.« Ambeus betrachtete mich wie ein Versuchskaninchen. »In diesem Zustand noch eine Injektion mit der Wahrheitsdroge, und er ist weg vom Fenster.«
    Er überprüfte meinen Puls, meinen Herzschlag und meine Pupillen und sagte dann zu mir: »Sie sollten Ihrem Bruder freiwillig sagen, wo der Koffer ist. Er ist imstande, Sie

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