Wenn der Golem erwacht
umzubringen, wirklich!«
»Daran zweifle ich nicht«, antwortete ich.
Einer der beiden Männer mixte an einem Tisch ein Getränk in einem kleinen Glas, das er Ambeus reichte.
»Ihr Schlaftrunk«, sagte der Professor und hielt das Glas an meine Lippen.
Ich drehte den Kopf zur Seite. »Was ist das?«
»Wirklich nur ein Schlaftrunk. Sie müssen schlafen, um sich von all den Anstrengungen zu erholen.«
Ich gab den Widerstand auf. Sie konnten mich sowieso zu allem zwingen. Die Flüssigkeit schmeckte leicht süßlich, gar nicht mal schlecht, und bald träumte ich wieder.
Dunkelheit senkt sich allmählich über den Pariser Platz. Es ist ein lauer Abend im Frühsommer. Eine Touristengruppe steigt gerade in einen Reisebus. Ein zweiter Bus rollt durch das Brandenburger Tor und spuckt seine Ladung aus. Schnatternde, fotografierende, filmende Menschen. Während ich mir einen Weg durch die Menge bahne, höre ich heraus, dass sie sich auf Spanisch unterhalten. Verstehen kann ich sie nicht.
Ich gehe auf das Tor zu, will mir ein wenig im Tiergarten die Beine vertreten, dann ein Bier trinken. Ein freier Abend, an dem ich nicht im Einsatzfür Volk und Vaterland bin, muss genossen werden. Freizeit ist heilig.
Deshalb reagiere ich auch nicht, als ich sehe, wie ein bärtiger Mann einem Touristen die Fotokamera entreißt und an mir vorbei zum Tiergarten spurtet. Kein Fall für die SGB, schon gar nicht am Feierabend. Sollen die Kollegen von der Schutzpolizei, die drüben vor dem Haus Liebermann ein Schwätzchen halten, sich darum kümmern. Als sie endlich merken, was los ist, ist der Räuber schon fast durchs Brandenburger Tor. Sie laufen ihm nach, aber er ist schnell, sehr schnell.
Zwanzig Minuten später habe ich den Vorfall fast vergessen. Ich schlendere an der großen Baustelle vorbei, dem Clay-Center. Da bricht vor mir eine Gestalt aus dem Unterholz, der bärtige Räuber. In einer Hand hält er den Fotoapparat. Als ich so plötzlich vor ihm stehe, ist er wie gelähmt, weiß nicht, ob er weglaufen oder das Unschuldslamm spielen soll.
Vom Teufel geritten, frage ich: »Wie läuft es denn so? Hast du die Bullen abgehängt?«
»Wer – sind Sie?«, erwidert er zögernd.
»Auch ein Bulle. Aber keine Angst, ich bin außer Dienst. Wie wäre es nach der Anstrengung mit einem kühlen Bier?«
Erstaunt sieht er mich an, fängt dann an zu kichern. »Okay, Einladung angenommen. In Gegenwart eines Bullen kann mir wohl nichts passieren.«
Ein Geräusch zerstörte den Traum, und verwirrt registrierte ich, was ich geträumt hatte. Die Begegnung mit Max war anders gewesen. Und sie hatte keinen Fotoapparat gestohlen, sondern eine Videokamera. Erst allmählich wurde mir bewusst, dass der Traum sehr wahrheitsgetreu gewesen war. Genauso war vor drei Monaten mein erstes Zusammentreffen mit Max abgelaufen.
»Was faselst du da von Bullen, Arved? Die können dir nicht helfen. Sag mir lieber, was mit dem Koffer ist!«
Einar stand mit Ambeus an meinem Bett. Hinter ihnen sah ich Ira und Knaup. Wahrscheinlich hatte das Eintreten meines ungebetenen SGB-Besuchs mich aus dem Schlaf gerissen.
»Wenn der Koffer so verdammt wichtig für dich ist, können wir vielleicht ein Geschäft abschließen«, sagte ich.
Einar schüttelte den Kopf. »Keine Chance! Wir finden den Koffer auf jeden Fall. Selbst wenn nicht, du kannst den Inhalt nicht mehr gegen uns verwenden.«
»Aber jemand anders könnte es!«
Für einen Moment fiel die Maske der Selbstsicherheit von meinem Bruder ab, und er schnappte hastig: »Wer? Etwa diese Journalistin, bei der du dich eingenistet hast?«
»Wenn du mit mir nicht ins Geschäft kommen willst, gebe ich dir auch keine Informationen.«
Einar hatte sich wieder unter Kontrolle und gestattete sich ein mildes Lächeln. »Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir die Kleine aufgespürt haben. Ich weiß, sie ist ein ausgekochtes Luder. Das habe ich schon gemerkt, als sie mich interviewt hat. Aber gegen uns hat sie keine Chance. War sie es, die dich nach Auenheim begleitet hat?«
»Ich sagte doch schon, keine Informationen ohne Gegenleistung.«
»Du überschätzt deine Position maßlos. Rica Aden wird uns genauso in die Falle gehen, wie du uns schon zweimal in die Falle gegangen bist.«
»Zweimal?«, fragte ich und gähnte. Die Müdigkeit wollte mich wieder übermannen.
»Jetzt in Auenheim und nach der Geschichte im INTEC-Tower. Dank der Überwachungsbänder kannten wir die Nummer deines Mietwagens. Du bist mit der Kiste zu lange
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