Wenn der Golem erwacht
Aber die Überwachungskameras in der Tiefgarage müssen aufgezeichnet haben, was dort geschah!«
»Zum Überwachungsdienst der Tiefgarage haben wir gute Kontakte, sehr gute«, sagte Einar, während er den Spiegel weglegte. »Deshalb haben wir auch die Aufzeichnungen der Szene bekommen, wie du in den Wagen dieser Journalistin, Rica Aden, gestiegen bist. Und nach dem so genannten Massaker im INTEC-Tower konnten wir die Videobänder an uns bringen und durch andere ersetzen, auf denen nur Schnee zu sehen war. Ein angeblicher Systemfehler. Die Schweinerei auf dem Parkdeck, ich meine Fuchs' zerdetschten Wagen und seine Leiche, haben wir beseitigt, bevor die Polizei offiziell anrückte. Die Schäden, die Fuchs an anderen Fahrzeugen verursacht hat, sind als ganz normaler Unfall mit Fahrerflucht in die Akten eingegangen.« Er brachte sein Gesicht ganz nah vor das meine. »Aber geflohen bist du, Arved. Wohin? Wo ist der Koffer? Sag es mir!«
Ich sehe wieder das große Gebäude vor mir und die Einfahrt, in der ich meinen Wagen abstelle. Den Koffer in der Hand, steige ich aus und blicke mich um.
Niemand ist in der Nähe, nur aus den umliegenden Bars und Restaurants dringt der allnächtliche Lärm zu mir herüber. In dem Gebäude selbst aber ist alles ruhig. Bis der Hund zu bellen beginnt …
»Du erinnerst dich!«, stieß Einar triumphierend hervor und krallte seine Hände fest in meine Schultern. »Ich sehe es dir an, Arved. Du weißt doch, dass du mich nie belügen konntest. Auch in dieser Beziehung bin ich wie Vater. Also sag es schon! Wohin hast du den Koffer gebracht?«
Ich hielt seinem bohrenden Blick stand. »Was willst du mit dem Koffer? Was enthält er?«
»Du weißt, was er enthält. Du hast uns erzählt, dass du hineingesehen hast.« Als ich schwieg, wandte sich Einar an Ambeus. »Geben Sie ihm noch eine Spritze!«
»Zu gefährlich«, entgegnete der Neurochirurg. »Wir haben ihm sehr hohe Dosen in verhältnismäßig kurzen Zeitabständen verabreicht. Noch eine Injektion, und er könnte kollabieren, mit letalem Ausgang!«
»Und?«, fragte mein Bruder harsch.
Knaup trat zwei Schritte vor. »Einar, vergiss nicht, dass wir deinen Bruder noch brauchen!«
Einars Mundwinkel zuckten, als er mit sich kämpfte. »Professor, können Sie ihm nicht eine geringere Dosis verabreichen?«
»Auch das wäre riskant.«
»Tun Sie es trotzdem!«
Und wieder bohrte sich die dünne Nadel in mein Fleisch.
»Noch eine Injektion, und er könnte kollabieren, mit letalem Ausgang.«
Ich höre diese Worte und sehe, seltsam verzerrt wie die Stimme, das hagere Gesicht des Professors vor mir.
Letaler Ausgang, das bedeutet nichts anderes als zu sterben. Heißt es nicht, im Augenblick des Todes sähe man sein Leben an sich vorüberziehen? Dann stimmt es also, denn genauso ist es bei mir.
Noch einmal bin ich der kleine junge, der sich vor seinem großen Bruder ängstigt und bei seinen Eltern Schutz und Trost findet, immer wieder. Vielleicht zu oft, denn ich nutze es aus und genieße es heimlich, wenn Einar traurig und wütend abseits steht.
Wie mein großer Bruder studiere ich Rechtswissenschaften – und langweile mich unendlich. Anspruchsgrundlagen, objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale, alternative und kumulative Kausalität, das alles bleiben für mich böhmische Dörfer. Nur weg und etwas Handfestes machen, eine Ausbildung beim Bundesgrenzschutz. Training an der Waffe und im Nahkampf, Sondereinsätze bei der GSG 9 gegen Rockerbanden, Drogenschmuggler und Waffenschieber.
Bis Einar mich bittet, als seine rechte Hand zur neuen SGB zu kommen. Er sagt, dass er einen Praktiker an seiner Seite braucht. Ich zögere, denke an meine ständigen Reibereien mit ihm. Aber ist das nicht die Chance, Vergangenes vergessen zu machen? Also sage ich zu.
Hat Einar mich für blöd gehalten, weil ich das Jurastudium so schnell geschmissen habe? Anders kann es kaum sein. Wie sonst konnte er glauben, er könnte seine dunklen Machenschaften vor mir verbergen? Ich merke, dass er ein großes Ding vorhat, jenseits der Legalität. In die Sache verstrickt ist dieser bunt schillernde Privatagent, der häufig für den IN-TEC-Konzern arbeitet: Robert Fuchs.
Wie nicht anders zu erwarten, gibt es schnell dienstliche Reibereien mit Einar. Ich nehme das zum Anlass, den Job hinzuschmeißen. Er ist doppelt froh darüber, da meine Verpflichtung ihn nicht nur intern belastet, sondern auch ins Kreuzfeuer der Medien gebracht hat. Ich fliege nach Brasilien, kehre
Weitere Kostenlose Bücher