Wenn der Golem erwacht
Helikopter, wie von einer gewaltigen Last befreit, nach oben.
Und so war es tatsächlich: Die Last fehlte. Bei dem wilden Tanz des riesigen Vogels hatte sich das Stahlseil gelöst, und die Statue des Generals war mitten auf das Dach des Oktagons gestürzt. Vermutlich war sie nur noch ein Haufen zertrümmerten Gesteins.
Nur für eine Sekunde konnte ich durch die Scheiben der Cockpit-Fenster sehen, was auf dem Dach des Clay-Centers vor sich ging. Der Helikopter schmierte zur Seite weg, und ich prallte gegen den Copiloten. Aus dem hinteren Teil des Helikopters, wo die drei anderen durcheinander gewirbelt wurden, hörte ich Geschrei, halb erschrocken, halb wütend.
Der Pilot wollte seine Maschine wieder auf Kurs bringen. Das verhinderte ich, indem ich auf das Pedal für die Hochachsensteuerung trat. Erneut tanzte der Hubschrauber wie ein durchgedrehter Vogel an der Fassade des Clay-Centers entlang, und zu dem Lärm von Rotoren und Motoren gesellte sich ein aufdringliches, schrilles Kreischen.
»Rotorschaden!«, kam es gellend vom Copiloten. »Wir können uns nicht mehr lange halten, müssen notlanden!«
»Weg hier«, kam es vom Durchgang zum hinteren Teil des Helikopters. »Wenn wir hier notlanden, haben die Bullen uns gleich am Arsch!«
Das kam von dem Schwarzbärtigen, der in der offenen Tür stand. Mit einer Hand hielt er sich am Türrahmen fest, in der anderen lag eine P228, mit der er auf mich zielte.
Ich duckte mich in dem Augenblick, als er abdrückte, und warf mich gegen seine Beine. Dadurch verlor er den Halt und ging zu Boden. Die Pistole entglitt ihm und rutschte quer über den Boden des Cockpits.
Der Helikopter sackte steil nach unten weg, stieg dann wieder und legte sich auf die Seite. Der Bärtige stieß sich den Kopf am Türrahmen blutig, verlor den Halt und fiel nach hinten. Hastig schloss ich die Tür und verriegelte sie, so dass ich mit den beiden Piloten im Cockpit eingesperrt war.
Jetzt erst bemerkte ich, dass der Pilot schlaff und vornübergebeugt auf seinem Sitz hockte. Die Kugel, die für mich bestimmt war, hatte ihn in den Kopf getroffen.
Während der Copilot sich verzweifelt bemühte, den Helikopter wieder in die Gewalt zu bekommen, warf er mir einen besorgten Blick zu.
»Keine Angst, auch ich will leben«, keuchte ich. »Sieh zu, dass du irgendwo landen kannst!«
Wir überflogen den Tiergarten in westlicher Richtung und folgten in etwa der Straße des 17. Juni. Als der Copilot ein plötzliches Absacken im letzten Augenblick unterband, bewahrte er die Siegessäule vor dem Verlust ihrer ›Goldelse‹, der Viktoriastatue.
Er bekam den Helikopter einigermaßen in den Griff und flog weiter in westlicher Richtung. Aus dem hinteren Teil krachte es gegen die Tür, aber die Verriegelung hielt.
Im niedrigen Flug ging es über das im Abenddämmer liegende Berlin in Richtung Spandau. Als sich unter uns die ausgedehnten Waldflächen ausbreiteten, dachte ich daran, wie ich nicht weit entfernt mit Rica zu dem seltsamen Kauz Hugo Bartsch gefahren war.
»Es geht nicht mehr, wir schmieren ab!«
Mit diesem Ruf riss der Copilot mich aus den Gedanken an Rica und Bartsch. Ich bemerkte, dass wir dem Wald immer näher kamen. Der Rumpf des Hubschraubers streifte bereits über die Baumwipfel.
»Nach rechts!«, schrie ich, weil ich dort eine große Wiese gesehen hatte.
Der Copilot reagierte sofort. Wir schossen auf die Wiese zu, gingen tiefer – und die Welt drehte sich um mich.
Das Knirschen von Metall dröhnte laut in meinen Ohren. Ich verlor den Halt, flog quer durchs Cockpit und schlug mit Schulter und Kopf hart gegen eine Verstrebung.
»Nicht schlappmachen!« hämmerte ich mir ein. »Jetzt nur nicht schlappmachen!«
Der Helikopter lag still auf der Wiese. Der Copilot musste sich verletzt haben. Stöhnend hing er in den Gurten. Mit meinen gefesselten Händen und Füßen konnte ich ihm nicht helfen. Ich war froh, dass ich die Tür auf der Pilotenseite öffnen konnte. Als ich auf der Wiese stand, konnte ich es kaum glauben. In den letzten Minuten hatte ich mich an den Gedanken gewöhnt, nie wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Ich hörte ein Knistern und aus dem Rumpf des waidwunden Riesenvogels schlugen Flammen. Weglaufen konnte ich nicht wegen der Fußfesseln. Also ließ ich mich fallen und über den Boden rollen, von dem Helikopter weg auf den im Abenddunkel versinkenden Waldrand zu.
Ich hatte die Strecke erst zur Hälfte überwunden, als eine Druckwelle über mich hingwegfegte.
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