Wenn der Golem erwacht
kühner Plan, aber leider auch einer mit einer großen Erfolgsaussicht.
»Warum wollt ihr Zander ermorden?«, fragte ich. »Wer steckt dahinter?«
»Schnauze!«, bellte der Bärtige und wandte sich dem Nervösen zu. »Mach den Laberkasten aus! Ich muss mich jetzt konzentrieren.«
Ich spähte durch ein Fenster nach draußen. Drüben am Potsdamer Platz reckte sich der hell erleuchtete INTEC-Tower in den Himmel, wie um dem von Global Standards maßgeblich getragenen Clay-Center die Stirn zu bieten.
Offensichtlich bestand ein Zusammenhang zwischen dem Massaker, das Robert Fuchs im INTEC-Tower angerichtet hatte, und dem bevorstehenden Attentat. Irgendwie musste alles mit der Rivalität zwischen INTEC und Global Standards zusammenhängen. Vielleicht wäre ich dahinter gekommen, hätte ich genügend Zeit zum Nachdenken gehabt. Aber der beleuchtete Komplex im Tiergarten kam schnell näher und mir blieben nur noch Sekunden.
Nichts am Clay-Center verriet mehr, dass es noch vor einigen Tagen eine Baustelle gewesen war. Geschmückt mit Girlanden und Wimpern, glänzte es in festlicher Pracht. Auf den Dächern und Plätzen standen die hohen Tiere aus Wirtschaft, Politik und Kultur, die Herren im dunklen Anzug, die Damen in glamourösen bis gewagten Kleidern. Als der Helikopter über ihnen in den Schwebeflug ging, wehten Jacketts und Jäckchen wie aufgeplustertes Gefieder, und manche sorgsam drapierte Frisur geriet in Unordnung.
Der Helikopter schwebte über dem höchsten Gebäude des Clay-Centers, einem Oktagon mit flachem Dach. Darauf standen Journalisten und Kameraleute, die Schar der ranghöchsten Gäste mit dem Bundeskanzler und ein ganzer Trupp Sicherheitsleute, angeführt von meinem Bruder und Martin Knaup. Alle blickten erwartungsvoll zu uns hoch.
»Jetzt geht's los«, sagte der Schwarzbärtige und drückte den Sprechschalter für die Funkverbindung mit dem Cockpit. »Ich gehe an die Arbeit. Haltet den Vogel vollkommen ruhig!«
»Das ist nicht leicht«, kam aus dem Lautsprecher die Stimme eines der beiden Piloten. »Aber wir tun, was wir können.«
Mit einer Behändigkeit, die man ihm aufgrund seiner Körpermasse nicht zugetraut hätte, gesellte sich der Stiernackige neben mich und nahm mich mit dem linken Arm in den Schwitzkasten. In der rechten Hand hielt er die Automatik, die er gegen meine Stirn drückte.
»Durchgeladen und entsichert«, schärfte er mir ein. »Wenn du auch nur Piep sagst, gibt es gleich zwei Tote!«
Langsam ging der Helikopter tiefer.
Der Bärtige stellte sich an die Wand, an der ich saß, und schob eine Luke auf. Frischer Wind strömte herein. Als der Mann sein Gewehr anhob, ging ein heftiger Ruck durch den Hubschrauber, und der Killer wäre fast zu Boden gegangen.
Er eilte zur Funkanlage und fragte: »Was ist los? Seid ihr besoffen?«
»Eine plötzliche Turbulenz«, kam es aus dem Cockpit. »Wir können nichts dafür.«
»Ist mir egal, wer etwas dafür kann. Wenn ihr die Kiste nicht ruhig haltet, ist die ganze Sache im Eimer!«
»Verstanden«, kam es kleinlaut zurück.
Der Nervöse und der Stiernackige starrten auf die Tür zum Cockpit, als könnten sie dadurch ergründen, was bei den Piloten vor sich ging. Das war meine Chance, die einzige vielleicht. Ich hatte bei der GSG 9 gelernt, wie man sich aus allen möglichen Arten von Griffen befreite. Der Schwitzkasten, in dem mich der Stiernackige festhielt, wäre kein Problem für mich gewesen, hätte ich meine Hände einsetzen können. Aber es musste auch so gehen, und ich versuchte es …
Der Stiernackige war tatsächlich so abgelenkt gewesen, dass ich mich von ihm lösen und ihm einen kräftigen Ellbogenstoß in die Nieren verpassen konnte. Er kippte zur Seite und fiel dem Bärtigen vor die Füße. Der geriet ins Stolpern und behinderte den Nervösen bei dem Versuch, die SIG-Sauer auf mich anzulegen.
Mir blieben nur wenige Sekunden und die musste ich nutzen. Trippelnd und stolpernd erreichte ich die Cockpit-Tür. Ich drückte mich rücklings gegen sie und konnte meine gefesselten Hände wenigstens so weit bewegen, dass es zum Öffnen der Tür reichte.
Die beiden Piloten staunten nicht wenig, als ich ins Cockpit wankte. Und sie staunten noch mehr, als ich mich auf sie fallen ließ und ganz bewusst gegen Schalthebel und Steuerpedal stieß.
Augenblicklich begann der Hubschrauber einen wilden Tanz, als wollte er zur Seite und nach unten zugleich ausbrechen. Ein lautes Krachen erscholl irgendwo unter uns. Unerwartet schoss der
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