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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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Fähigkeit zu wundern.
    Abwartend stand ich vor dem Durchlass, lauschte den Schrittgeräuschen und starrte auf die hell fluoreszierenden Geisterwesen, die sich von mir entfernten. Die Umrisse zerflossen und waren bald ganz verschwunden. Das bestätigte meine bisherige Erfahrung: Dieser Röngtenblick, oder was immer es war, funktionierte nur auf kurze Distanz, ungefähr zehn bis zwanzig Meter.
    Gerade wollte ich das Baugelände betreten, da tauchte das helle Flimmern wieder auf. Aber diesmal war es nur ein Schemen. Er bewegte sich schnell auf mich zu. Ein Polizist kehrte offenbar zurück.
    Ich huschte wieder ins Unterholz, wo ich mich zwischen Bäumen und Gebüsch zusammenkauerte. Die defekte Stelle des Bauzauns lag in meinem Blickfeld. Zwei Holzlatten wackelten, eine Gestalt zwängte sich hindurch und wurde vom milchigen Nachtlicht umhüllt.
    Da erkannte ich meinen Irrtum: Das war kein Polizist, sondern der Bärtige. Die geraubte Kamera noch in der Hand, ging er den Weg zurück, den er gekommen war, direkt an mir vorbei.
    Kurz entschlossen erhob ich mich und verstellte ihm den Weg. Erst da kam mir der Gedanke, dass ich sehr leichtsinnig war. Er konnte bewaffnet sein.
    Erschrocken prallte er zurück und hätte fast die Kamera fallen gelassen.
    »W-wer bist du?«, kam es im Flüsterton über seine bartumrankten Lippen. »Was willst du von mir?«
    »Ich war am Brandenburger Tor und habe alles beobachtet.«
    »Und?«
    »Die Bullen haben Verstärkung angefordert. Die kann jeden Moment hier sein.«
    Das Bartgesicht nickte. »Eben darum möchte ich schnell von hier verschwinden. Hat mich gefreut!«
    Er wollte sich an mir vorbeidrücken, aber ich hielt ihn am Ärmel fest und fragte: »Wohin willst du?«
    »Mein Wagen steht in der Nähe.«
    »Nimm mich mit!«
    Sein Blick glitt an meiner schmutzigen Kleidung entlang bis hinunter zu den zerschrammten nackten Füßen in den alten Sandalen. »Hast wohl kein Geld fürs Taxi, was?«
    Ich nickte.
    Er warf einen Blick über die Schulter zum Clay-Center, sah mich an und seufzte. »Also gut. Lieber mit 'nem Spinner im Schlepptau nach Hause als allein in den Knast. Komm, aber mach hin!«
    Und schon lief er quer durchs Unterholz.
    Ich folgte ihm.
    War es richtig gewesen, ihn anzusprechen? Der Kontakt hatte keine Erinnerung in mir ausgelöst. Das Gefühl, dass ich den Mann kannte, konnte auf tausend verschiedene Gründe zurückgehen. Vielleicht hatte mich sein Vollbart an jemanden erinnert oder seine geschmeidige Art zu gehen. Trotz meiner Zweifel blieb ich bei ihm. Schließlich hatte ich nichts Besseres vor.
    Schneller als erwartet tauchte eine belebte Straße vor uns auf. Der Bärtige steuerte auf einen uralten VW Golf zu, dessen hellgrüne Lackierung den Kampf gegen den Rost längst aufgegeben hatte. Unerklärlich, wie das Ding durch den TÜV gekommen war. Der Mann schloss die Fahrertür auf und ließ sich auf den Sitz fallen. Er zog die Tür zu, legte seine Beute achtlos auf den Rücksitz und ließ den Motor an.
    Ich klopfte energisch gegen die Fensterscheibe der Beifahrertür. Er grinste mich entschuldigend an, beugte sich nach rechts und löste die Verriegelung.
    Kaum hatte ich Platz genommen, da setzte sich der Golf auch schon mit ungewöhnlich lautem Motorengeräusch in Bewegung und fädelte sich in den Verkehr ein. Ich hörte Sirenengeheul und sah bei einem Blick über die Schulter mehrere Polizeifahrzeuge, deren flackerndes Blaulicht durch die Nacht zuckte. Die Wagen bogen hinter uns in eine Zubringerstraße zum Clay-Center ein.
    »Das war knapp«, stellte der Bärtige in einem eher ruhigen, sachlichen Ton fest. Jetzt, wo er nicht länger flüsterte, hatte seine Stimme einen rauen, kratzigen Klang. »Die beiden Bullen waren gut zu Fuß und gar nicht dumm, sonst wären sie kaum aufs Clay-Center gekommen. Schade, dass der Bau bald fertig gestellt ist.«
    »Wieso?«
    »War'n prima Versteck.«
    »Machst du so etwas öfter?«
    »Ich muss, wenn ich nicht verhungern will.« Er zeigte mit dem Daumen nach hinten, während die andere Hand das Lenkrad hielt. »Die Kamera ist das Neueste von Sony, Zeiss Optik, Hi-Fi-Stereo-Sound, integriert sind Lautsprecher und LCD-Monitor mit Superauflösung. Kostet dreieinhalb tausend.«
    »Ist doch ein netter Verdienst für eine Nacht.«
    »Dreieinhalbtausend im Laden. Schwarz kannst du höchstens die Hälfte verlangen, wahrscheinlich eher einsfünf.«
    »Immer noch ein guter Schnitt.«
    »Einsfünf nimmt der Verkäufer, aber der will auch was

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