Wenn der Golem erwacht
Teller mit Spiegeleiern und gebratenem Speck hereintrug, tippte ich auf das Titelbild. »Dieser Mann … den habe ich schon mal gesehen.«
»Wer hat das nicht?« Max stellte die Teller auf einen runden Tisch. »Unser Kanzler ist 'ne sehr medienwirksame Erscheinung. Fotografen und Kameraleute lieben ihn. Außerdem hat er immer einen Scherz auf den Lippen. Den Kanzler der Einheit und den der Autos haben wir hinter uns. Passend zum einundzwanzigsten Jahrhundert haben wir jetzt den Medienkanzler.«
»Das ist unser Bundeskanzler?«
Max sah mich erstaunt an. »Hast du gedacht, es ist der Papst?«
Kopfschüttelnd ging er zurück in die Küche.
Ich schlug den ›Bärliner‹ auf und fand auf Seite drei einen Hinweis zum Titelbild: »Bundeskanzler Arnulf Zander bei der Einweihung der neuen Berlin-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau.« Im Heft fand ich einen amüsant-bissigen Artikel über die Medienwirksamkeit des Kanzlers, verf asst von einer Rica Aden. Sie hatte eine flotte Schreibe, die mich zum Lachen brachte.
»Freut mich, dass du dich amüsierst«, sagte Max und brachte eine Schale mit Brot sowie Besteck. »Was willst du trinken?«
»Was gibt es?«
»Wein, Wasser, Bier.«
»Bier.«
»D'accord.«
Er holte aus dem Kühlschrank zwei Dosen ›Radeberger‹ und riss sie auf. Wir tranken, und er wischte sich den Schaum aus dem Bart.
Max bedachte mich mit einem breiten Grinsen. »Dass du echt schräg bist, habe ich dir wohl schon gesagt.«
»Ja, aber wie kommst du darauf?«
»Na hör mal!« Er imitierte meinen Tonfall erstaunlich genau: »Mein Name? Ich kann mich leider nicht erinnern. – Den Mann habe ich schon mal gesehen. Was, das ist unser Bundeskanzler?« Er setzte die Dose an und nahm erneut einen großen Schluck. »Wo kommst du her? Vom dritten Planeten der Kassiopeia?«
»Kassiopeia ist keine Sonne, sondern ein Sternbild. Ich könnte also allenfalls vom dritten Stern der Kassiopeia kommen.«
»Deinen Namen kennst du nicht, den Bundeskanzler auch nicht, aber das Sternbild der Kassiopeia! Bist du etwa wirklich ein Außerirdischer?«
»Wenn, dann ein ziemlich hungriger.«
Ich machte mich über das Spiegelei her, hielt aber im Kauen inne.
»Was ist?«, fragte Max. »Zu viel Salz oder zu wenig?«
»Weder noch.« Ich kaute langsam weiter und schluckte den Bissen hinunter. »Da fehlt was anderes.«
Er probierte sein Ei und aß mit sichtlichem Genuss. »Finde ich nicht. Schmeckt wie immer.«
Plötzlich kam ich drauf: »Curry! Eine Prise Curry!«
Er starrte mich an, als hätte ich gerade den bevorstehenden Weltuntergang verkündet. In seinen Augen las ich mehr als bloße Verwunderung. Ich konnte es mir nicht erklären, aber er schien über meine Bemerkung bestürzt. Es konnte nicht nur daran liegen, dass ich seine Kochkünste schmähte. Sein Blick schien mich zu durchdringen, nicht feindselig, sondern forschend. Als hielte er mich tatsächlich für einen Marsmenschen oder Kassiopeianer.
Langsam, laut und deutlich fragte er: »Wer bist du?«
Tief durchatmend hob ich die Schultern und ließ sie langsam wieder sinken. »Das wüsste ich selbst gern, glaub mir!«
»Du kannst dich wirklich nicht erinnern? Keine Verarschung?«
»Ich bin derjenige, der hier verarscht wird, und zwar von meinem Gehirn. In meinem Gedächtnis klafft ein großes, tiefes Loch. Und darin ist alles verschwunden, was mit meiner Identität zusammenhängt.«
Max starrte mich weiterhin an, misstrauisch, zweifelnd, überlegend. Plötzlich sah er sich nach allen Seiten um.
»Was suchst du?«, fragte ich.
»Die versteckte Kamera.«
Ich lächelte dünn. »Wenn ich im Film bin, dann im falschen.«
»Genauso komme ich mir auch gerade vor.«
Brot und Schinken kauend, sagte ich: »Verstehe ich. Ich an deiner Stelle würde mich auch unwohl fühlen. Ein Vorschlag zur Güte: Dusche und Essen sind dankbar angenommen, danach mach ich mich vom Acker. Okay?«
»Du wolltest doch auch ein Bett.«
»Wenn du mich für einen Marsmenschen oder ein Irren hältst, sollte ich besser darauf verzichten. Sonst hetzt du mir bei der geringsten verdächtigen Bewegung Otto an die Gurgel.«
»Und wo willst du schlafen?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Kommt nicht in die Tüte«, sagte Max im Befehlston und holte einen Plastikstreuer mit Curry aus der Küche. »Du bleibst hier! Es gibt hier eh zu viele leere Räume.«
Ich gab ein wenig Curry auf meine linke Handfläche, nahm das Pulver zwischen Daumen und Zeigefinger und zerrieb es mit einer kreisenden
Weitere Kostenlose Bücher