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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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strich wie eine Katze um die Beine seines Herrn.
    Ich sah das Tier zweifelnd an und fragte: »Otto?«
    Der Bärtige tätschelte den Hunderücken. »Er erinnert mich stark an Otto Wernicke.«
    »Wer ist das?«
    »Ein Schauspieler. In den Dreißigerjahren hat er in den Krimis von Fritz Lang den Kommissar Lohmann gespielt. Ein bulliger, ziemlich einschüchternder Typ, der nicht mehr loslässt, wenn er sich einmal in etwas verbissen hat. So wie unser Otto.«
    »Aha«, sagte ich verständnislos.
    »Und ich bin Max.«
    »Nach Max und Moritz?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nach Maximilian Schell. Meine Mutter hat für ihn geschwärmt.«
    »Freut mich, Max.«
    »Und du?«
    »Was ist mit mir?«
    »Wie ist dein Name?«, fragte Max.
    »Ich kann mich leider nicht erinnern.«
    »Das ist gut!«, sagte er und schüttelte sich vor Lachen. »Falls mich die Bullen mal erwischen, werde ich das auch sagen, wenn sie mich nach meinem Namen fragen. Wirklich gut! Aber jetzt sag schon, wie heißt du?«
    Ich sah ihn offen an. »Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Okay. Dann sag mir, wie ich dich nennen soll!«
    »Keine Ahnung. Fällt dir kein passender Schauspieler ein?«
    »Da muss ich erst überlegen. Unter Schauspielern gibt's zwar 'ne Menge schräger Vögel, aber für einen wie dich braucht es einen besonders schrägen. Das wird nicht einfach. Jetzt komm!«
    Ich folgte ihm und Otto durch eine kleine Seitentür ins Innere des großen Bauwerks. Durch die verdreckten Scheiben fiel nur wenig Nachtlicht herein. Aber auch so erkannte ich Spinnweben, Staub und herumliegende Trümmer. Wir gingen an mehreren Schildern vorbei, und ich las Aufschriften wie ›Notausgang‹, ›Garderoben‹ und ›Bühnenaufgang‹.
    »Hier sieht es aus wie in einem Theater«, sagte ich.
    »Das liegt vermutlich daran, dass es ein Theater ist«, erwiderte Max.
    Er öffnete eine Tür, betrat einen dunklen Raum und betätigte einen Lichtschalter. Tatsächlich, hier gab es elektrisches Licht! Mit unstetem Summen flackerte eine altertümliche Schirmlampe unter der hohen Decke auf und beleuchtete ein geräumiges Wohnzimmer mit wahllos zusammengesuchtem Mobiliar.
    »Wie aus einem Theaterfundus«, entfuhr es mir.
    »Korrekt erkannt«, sagte Max und schien nicht beleidigt. Er legte den Camcorder in die geräumige Schublade einer holzwurmstichigen Kommode und zeigte auf einen schmalen Durchgang. »Da ist die Dusche. Ich besorge dir saubere Kleider und kümmer mich dann ums Essen.«
    »Danke«, sagte ich und ging auf den schmalen Gang zu.
    »He!«
    Ich blieb stehen. »Ja?«
    »Seif dich gut ein, du hast es nötig!«
    Das Badezimmer war riesig, die Einrichtung so zusammengewürfelt wie im Wohnzimmer. Die Dusche suchte sich selbst aus, ob sie kaltes, lauwarmes oder heißes Wasser ausspuckte. Es gab zwar einen Regulierer, aber er schien keine Auswirkungen auf die Wassertemperatur zu haben. Trotzdem blieb ich lange unter dem willkürlich an- und abschwellenden Strahl. Er übte eine belebende Wirkung auf mich aus, vielleicht gerade wegen des stetigen Wechsels zwischen heiß und kalt.
    Als ich schließlich aus der Kabine trat, lagen auf einer Anrichte ein Kleiderstapel und ein großes Badetuch, mit dem ich mich abtrocknete. Dann schlüpfte ich in eine dunkle Cordhose und ein ausgebleichtes Jeanshemd. Die Sachen passten mir, obwohl ich Max um mehr als einen Kopf überragte. Auch die dunklen Socken und die Lederslipper hatten meine Größe. Offenbar verfügte mein Gastgeber über ein gutes Augenmaß und über einen großen Theaterfundus.
    Der Duft von Eiern und Speck lockte mich zurück ins Wohnzimmer. Otto lag auf dem flauschigen Teppich und blinzelte mich müde an. Eine Tür stand offen. Sie führte zu einer Küche, wo Max am Herd stand und mit zwei Bratpfannen hantierte.
    »Essen kommt gleich«, rief er mir zu. »Mach's dir gemütlich!«
    Ich ließ mich in einen Sessel fallen und griff nach einer zerfledderten Zeitschrift. Es war eine ältere Ausgabe des ›Berliners‹, der sich einen Namen als kritisches Hauptstadtmagazin gemacht hatte. Das Cover zeigte einen gut aussehenden Mittfünfziger, in einer Hand eine dicke Zigarre. Mit jovialem Lächeln sah er in die Kamera. Ich kannte das Gesicht, aber der Name war mir entfallen. Und ich kannte es nicht nur von Fotos, da war ich mir sicher. Ich musste dem Mann schon persönlich begegnet sein. Aber der Name? Vergebens sah ich auf die Zeitschrift. Eine Ecke des Titelbilds war abgerissen, die Beschriftung fehlte.
    Als Max zwei dampfende

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