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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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mich kannte und mir sagen konnte, wer ich war. Vermutlich war es sinnlos, ihm zu folgen, besonders in dieser Situation. Aber auf dem Pariser Platz zu stehen, brachte mich auch nicht weiter.
    Als ich durchs Brandenburger Tor lief, sah ich die Polizisten links vor mir in die Grünanlagen des Tiergartens eintauchen. Ich rannte ihnen nach und zwang ein Taxi zur Vollbremsung. Ich hatte den Wagen erst bemerkt, als die Scheinwerfer in meine Augen stachen. Wütendes Gehupe verfolgte mich bin ins Unterholz.
    Hier war es ungleich dunkler als auf den Straßen. Vor mir gabelte sich ein schmaler Pfad. Ich blieb stehen und lauschte. Schritte und das Rascheln von Zweigen kamen von links. Also nahm auch ich den linken Weg und hielt ab und zu an, um nicht unvermittelt auf die Polizisten zu prallen. Beim dritten oder vierten Halt, vor einer Biegung, hörte ich ihre Stimmen.
    Der Mann: »… keine Spur von dem Kerl. Vielleicht hockt er hier irgendwo zwischen den Bäumen und lacht uns aus.«
    Die Frau: »Glaub ich nicht. Wir hätten es im Unterholz rascheln gehört.«
    Der Mann: »Wo soll er sonst stecken?«
    Die Frau: »Auf dem Baugelände. Die Kollegen haben dort schon öfter Plattenputzer und Fixer aufgegriffen. Der Zaun ist löchrig wie'n Sieb.«
    Der Mann: »Okay, ich geb's durch. Und dann sehen wir nach.«
    Ich hörte das klackende Geräusch eines Walkie-Talkies. Der männliche Polizist meldete sich bei der Zentrale und fuhr fort: »Derzeit kein Kontakt zum flüchtigen Täter. Vermuteter Aufenthaltsort ist das Baugelände Clay-Center östlich der Ebertstraße. Wir suchen dort weiter und erbitten Verstärkung. Ende.«
    Die Zentrale bestätigte die Meldung und versprach das Eintreffen der angeforderten Verstärkung. Die beiden Streifenbeamten setzten ihren Weg fort, ich ebenfalls.
    Clay-Center. Der Name löste eine Erinnerung in mir aus. Ein Bauvorhaben, von dem ich gehört oder gelesen hatte. Ein mit staatlichen Mitteln gefördertes Kongresszentrum, eine Begegnungsstätte zur Förderung der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik. Zugleich sollte es der neue Konzernsitz von Global Standards Germany sein.
    Warum erinnerte ich mich daran, aber nicht an meinen Namen? Wie eng war ich mit dieser Stadt, mit Berlin, verbunden?
    Das Gehölz vor mir wurde lichter und trat schließlich ganz zurück, wo man das Gelände für den Bau des Clay-Centers gerodet hatte. Die Bauten erhoben sich weit über den zwei Meter hohen Bauzaun. Der weitläufige Gebäudekomplex musste kurz vor der Fertigstellung stehen, sogar die Fenster waren schon eingesetzt. An provisorischen Holzmasten, die sich in regelmäßigen Abständen hinter dem Bauzaun erhoben, waren Scheinwerfer angebracht, die das ganze Gelände in blauweißes Licht tauchten. Der Architekt schien etwas gegen Ecken und Kanten zu haben. Runde Formen herrschten vor, die einzelnen Gebäude wurden durch geschwungene Brücken auf den verschiedenen Ebenen miteinander verbunden. Es sah aus wie ein gigantischer versteinerter Ameisenbau.
    Während ich, hinter einem Baumstamm verborgen, den fast fertigen Bau betrachtete, geschah etwas Seltsames: Ich fühlte mich, als hätte jemand den Boden unter meinen Füßen weggezogen, und schwankte.
    Fast wäre ich gestürzt, hätten meine Hände nicht an dem borkigen Stamm Halt gefunden. Das Hämmern in meinem Kopf schwoll an, wurde zu einem Stechen, das mir Übelkeit verursachte. Mir wurde schwarz vor Augen.
    Ich zwang mich, ruhig und tief zu atmen. Der Schleier, der sich vor meine Augen gelegt hatte, zerriss. Ich sah wieder das Clay-Center vor mir, aber für wenige Sekunden noch etwas anderes: Ein hohes, turmartiges Gebäude, das oben in einer T-förmigen Verbreiterung auslief. Es verblasste, war nur ein Traumgebilde gewesen. Aber es ließ mich verwirrt zurück. Zu der Verwirrung gesellte sich ein unerklärliches Gefühl des Abscheus. Mir war noch immer schlecht, und ich musste mich übergeben.
    »Hier könnte er durch sein, das Brett ist lose«, erklang vor mir die Stimme der Polizistin.
    »Gibt's hier keinen Nachtwächter?«, fragte ihr Kollege.
    »Doch, aber der kann sich sonst wo rumtreiben. Das Gelände ist groß.«
    »Vielleicht pennt er auch. Egal, gehen wir rein!«
    Ich hörte das Klappern von Holz, wischte mit dem Handrücken über meine besudelten Lippen und ging zum Bauzaun. Ich musste nicht lange suchen, um den Durchgang zu finden. Ich sah die Schemen der beiden Polizisten, durch den Zaun hindurch. Allmählich hörte ich auf, mich über die seltsame

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