Wenn der Golem erwacht
ich mit dem Makler befreundet.«
»Was heißt befreundet?«
»Dafür, dass wir uns erst seit einer halben Stunde kennen, stellen Sie sehr intime Fragen, Herr Fuchs.«
Also hatten wir uns früher nicht persönlich gekannt. Ich bedauerte es aus mehreren Gründen.
»Verzeihen Sie«, sagte ich mit gespielter Übertreibung. »Der Duft Ihres Aphrodisiakums hat mir wohl den Verstand vernebelt.«
»Ich werde Ihnen mal ein richtiges Betäubungsmittel mixen«, sagte sie und ging zu der Bar, die fast eine ganze Wand einnahm. »Was darf's sein, Whiskey Sour, White Cloud oder die Spezialität des Hauses?«
»Spezialität des Hauses klingt gut«, meinte ich und trat zu der großen Fensterfront.
Der Blick ging hinaus auf die Spree und den Osthafen, wo die Laternen der Kaianlagen Frachtstapel, abgestellte Lastwagen, ruhende Flusskähne und Verladekräne, die ihre stählernen Arme in den Nachthimmel reckten, beleuchteten. Die Häuser von Kreuzberg auf diesem und von Friedrichshain auf dem gegenüberliegenden Ufer bestrahlten den Fluss mit dem Licht aus Hunderten von Fenstern. Das unter der vielfachen Beleuchtung aufblitzende Band des Flusses führte zu meiner Linken unter der zinnenbewehrten und türmchengekrönten Oberbaumbrücke hindurch, deren verspielte Backsteinkonstruktion eher in ein verträumtes Märchenland passte als mitten ins geschäftige Berlin. Weit dahinter wurden die großen Wohn- und Bürokästen des sozialistischen Plattenbaus mühelos von der kugelgeschmückten Nadel des Fernsehturms überragt, dessen Flugwarnlichter unermüdlich blinkten.
»Ein netter Ausblick, nicht?«
Ich drehte mich zu meiner Gastgeberin um, die in jeder Hand ein Longdrink-Glas hielt. Der Inhalt bestand aus einer knatschgrünen Flüssigkeit, durchzogen von dunkelroten Schlieren.
»Nett ist hoffnungslos untertrieben«, antwortete ich. »Hat Ihr Makler eine Schwester, jung, unverheiratet und attraktiv?«
»Wählerisch sind Sie nicht«, meinte sie, reichte mir ein Glas und hob ihres in Augenhöhe. »Cheeriol«
Skeptisch beäugte ich das rotdurchschlierte Grün. »Was ist das?«
»Die Spezialität des Hauses, wie bestellt.« Sie setzte das Glas an und trank genüsslich.
»Cheerio«, sagte ich und trank ebenfalls.
Der Drink schmeckte säuerlich, nach Kiwi, und gleichzeitig herb. Obwohl eigentlich kalt, rann die Flüssigkeit warm durch meine Kehle. Die wohltuende Wärme breitete sich prickelnd in meinem ganzen Körper aus.
Als ich das Glas zur Hälfte geleert hatte, verwandelte sich die wohlige Wärme plötzlich in eine unangenehme Hitze, die in meinen Kopf schoss und meine Gedanken lähmte. Vor meinen Augen veränderte sich die blonde Frau, wuchs und schrumpfte fast im selben Moment. Nicht nur sie, auch die Einrichtungsgegenstände und selbst die Wände veränderten laufend Größe und Form. Alles begann sich um mich zu drehen, bis ich erkannte, dass ich selbst es war, der sich drehte. Die Frau, die ich nur noch als Schemen wahrnahm, griff nach meiner Hand und nahm mein Glas an sich.
»Wäre doch schade um den schönen Teppich, wenn das Glas hinfällt«, hörte ich ihre Stimme ganz dumpf, als steckten dicke Wattebäusche in meinen Ohren.
Ich wollte mich an der Fensterbank fest halten, aber die ganze Wand war plötzlich so unendlich weit entfernt. Der Fluss und die Häuser da draußen verschmolzen zu einem dunklen Wirbel, in dem unzählige Lichter tanzten. In einem versteckten Winkel meines Verstands sagte mir eine Stimme, dass die Lichter erleuchtete Fenster waren und dass sie sich gar nicht bewegten. Aber meine Augen sahen etwas anderes und entlarvten die Stimme als Lügnerin.
Der dunkle Wirbel, der mein Gesichtsfeld jetzt ganz ausfüllte, veränderte seine Farbe. Er war auf einmal grün und rote Schlieren trieben in der obskuren Flüssigkeit. Inmitten des Wirbels klaffte ein dunkles Loch, das mich wie ein böses Auge ansah. Ich wollte mich abwenden, aber es gelang mir nicht. Näher und näher kam mir das Auge und zog mich mit unwiderstehlicher Kraft in die Finsternis hinein.
Die Finsternis wäre vollkommen, schiene irgendwo weit hinter mir nicht ein Licht, dessen blasser Schimmer mich zumindest die Konturen meiner Umgebung erkennen lässt. Ein Gang, wie ein Tunnel, der sich schlängelt und windet wie in einem Irrgarten. Längst hätte ich die Orientierung verloren, wären nicht die Laute, die mir den Weg weisen.
Schritte.
Hin und wieder bleibe ich stehen und lausche auf ihren Klang, um die Richtung zu erkennen. Dann eile ich
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