Wenn der Golem erwacht
weiter, möglichst lautlos, um mich nicht zu verraten. Der andere zeigt mir den Weg, aber er darf mich nicht bemerken.
Als ein metallischer Laut, wie das Zuschlagen einer Tür, von vorn die Dunkelheit durchdringt, weiß ich, dass es nicht mehr weit ist. Ich gehe schneller und bald scheint vor mir helles Licht. Eine Tür taucht auf, stählern und kalt versperrt sie mir den Weg. Ich muss sie öffnen, um weiterzukommen. Aber eigentlich will ich das gar nicht. Irgendwo in mir lauert das Wissen, dass jenseits der Tür das Verhängnis auf mich wartet.
Zögernd strecke ich die Hand aus und lege sie auf den kalten Griff. Wenn ich ihn nach unten drücke, gibt es kein Zurück. Noch liegt die Entscheidung bei mir – das bilde ich mir jedenfalls ein. Doch in Wahrheit ist die Entscheidung längst gefallen und ich kann sie nur wiederholen. Es gibt keinen Ausweg aus dem Irrgarten der Erinnerung, in dem das Geschehene einem wiederbegegnet, wieder und wieder und wieder.
Ich drückte die Klinke nach unten, und die Tür öffnet sich. Ein Sog packt mich und reißt mich hinein, schleudert mich nach oben in einen Wirbel, in dem sich rote Schlieren ausbreiten, mehr und mehr. Wie Blut, das mich ganz und gar umfängt.
Es ist Blut!
Und wieder schwimme ich in dem roten Meer …
»Haben Sie gut geschlafen, Herr Fuchs?«, hörte ich eine Frauenstimme.
Ich riss die Augen auf und starrte in das Gesicht von Marilyn Monroe. Ihr schien es noch dreckiger zu gehen als mir, denn ihre Haut war giftgrün. Das zerfließende Rot ihres Mundes erinnerte mich an die Schlieren und an das Blut. Doch Marilyn hatte ein starres Lächeln aufgesetzt und verzog keine Miene, als wartete sie auf das erlösende Cut ! ihres Regisseurs.
Sie war nicht allein. Weitere Marilyn-Gesichter hingen neben ihr, über und unter ihr, mal grün, mal rot, mal blau, dass mir die Augen vom bloßen Hinsehen schmerzten. Aufstöhnend drehte ich mich um und sah in die andere Richtung.
»Mögen Sie Andy Warhol nicht?«
Das war die Stimme von eben, die Stimme der blonden Frau, meiner Retterin, der Giftmischerin. Sie saß mit übereinander geschlagenen Beinen in einem Korbsessel und sah mich an. Sie hatte sich umgezogen, trug jetzt schwarze enge Leggings und einen grauen, ebenfalls hautengen Pulli. Die langen Ohrhänger vom Vorabend hatte sie durch dezentere Ohrstecker ersetzt.
Durch das Fenster hinter ihr fiel Tageslicht herein, aber es war ein trübes Licht. Graue Wolken hingen über Berlin und Regentropfen trommelten leise gegen die Scheibe. Ich lag in einem großen Bett und das stand in einem mir unbekannten Raum, offenbar das Schlafzimmer der Frau. Am Fußende des Bettes bemerkte ich einen Schminktisch vor einem großen Wandspiegel, der die Form eines Puzzleteils hatte. In dem Spiegel sah ich mich selbst, unrasiert und auch sonst reichlich mitgenommen wirkend. Ich hatte nur mein T-Shirt an. Ich hob die Decke ein Stück hoch und stellte fest, dass ich noch die Boxer-Shorts trug.
»Keine Bange, ich habe mich nicht an Ihnen vergangen. So tief und fest, wie Sie geschlummert haben, hätten wir beide keine Freude daran gehabt.«
»An meinem Schlaf sind Sie wohl nicht ganz unschuldig«, knurrte ich und richtete mich im Bett auf. Schlagartig begann mein Kopf zu schmerzen.
Das blonde Gift setzte eine Unschuldsmiene auf. »Ich habe doch gesagt, dass ich Ihnen ein Betäubungsmittel mixe.«
»Ich habe nicht geglaubt, dass Sie's wörtlich meinen.«
»Ich meine immer, was ich sage, Herr Fuchs. Soll ich uns einen Kaffee aufsetzen?«
»Ein Kaffee könnte mir gut tun, aber noch lieber wäre mir eine Erklärung.«
»Bitte«, sagte sie lächelnd. »Um was geht's denn?«
»Um was wohl?«, äffte ich ihren unverbindlichen ›Darfs-auch-ein-bisschen-mehr-sein‹-Tonfall nach. »Um das Mistwetter da draußen oder um Ihr widersprüchliches Verhalten? Was denken Sie?«
»Mein widersprüchliches Verhalten?«, fragte sie augenrollend und fest entschlossen, das Stück bis zum Ende zu spielen.
»Erst kommen Sie mit Ihrem Wagen angerauscht wie John Wayne mit seiner Kavallerie, um mich vor diesen … diesen Typen zu retten. Sie bringen mich in Ihre Wohnung und kredenzen mir einen Schlaftrunk, der auch King Kong umgehauen hätte. Und jetzt wollen Sie mir einen Kaffee kochen, um die Folgen Ihrer Giftmischerei zu vertreiben!«
Sie sah mich mit gespielter Irritation an. »Also wollen Sie keinen Kaffee?«
»Doch, verdammt! Aber sagen Sie mir vorher, warum Sie mir die K.-o.-Tropfen untergejubelt
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