Wenn der Golem erwacht
und beschloss, die Befriedigung meiner Neugier ein wenig hinauszuschieben. Bei der Fahrweise der Blonden war es besser, sie konzentrierte sich ganz auf den Verkehr.
Wir fuhren nach Südosten, durchkreuzten die heruntergekommenen Straßenzüge Kreuzbergs und hielten schließlich vor der Hofeinfahrt einer alten, düsteren Fabrik. Über der verschlossenen Einfahrt war das verblassende Schild im gelben Schein einer Straßenlaterne gerade noch lesbar: ›Mahlmanns Zucker & Süßstoffe‹.
Mein Schutzengel drückte auf einen Knopf unter dem Armaturenbrett, und das schwere Metalltor glitt mit einem lauten Summen zur Seite. Nachdem wir in den Hof gerollt waren, verschloss das Tor die Einfahrt wieder. Wir befanden uns auf einem aufgegebenen Fabrikgelände, aber nicht auf einem verlassenen. Ein am Gebäude befestigter Scheinwerfer beleuchtete mehrere Fahrzeuge auf reservierten Stellplätzen. Ich sah einen dicken Volvo, ein BMW-Coupé und einen E-Klasse-Mercedes. Alles Schlitten, gegen die sich der bullige Chrysler fast bescheiden ausnahm. Kreuzberg war ein auf den Hund gekommener Stadtteil, aber für die Bewohner dieses Gebäudes schien Armut ein Fremdwort zu sein.
Als ich die Autotür aufstieß, drang feuchte Luft herein, und ich hörte das ferne Kreischen einer Möwe. Die Spree konnte nicht weit entfernt sein.
»Haben Sie ein Taschentuch?«, fragte die Blonde.
Ich verneinte.
Sie griff nach ihrer schwarzledernen Handtasche auf der Rückbank und zog ein Taschentuch heraus, dem derselbe leicht süßliche Geruch entströmte, der auch die Frau umwehte. »Tun Sie so, als müssten Sie sich schnauzen, bis wir drinnen sind. Der Hof wird videoüberwacht. Ist zwar ein privater Sicherheitsdienst, aber Kranz kennt viele Leute. Auch wenn ich nicht weiß, was Sie ausgefressen haben, Sie müssen bestimmt vorsichtig sein. Die SGB kümmert sich nicht um Ladendiebstahl.«
Das Taschentuch vor dem Gesicht und den verführerischen Duft in der Nase, folgte ich ihr zu einem überdachten Eingang. Auf der halbrunden Überdachung saß neben dem Scheinwerfer die Videokamera und drehte ihr unermüdliches Auge langsam hin und her. Im Schutz des Daches nahm ich das Tuch vom Gesicht, und atmete tief durch.
»Mögen Sie mein Parfüm nicht?«, fragte die Blonde und hantierte mit einem kleinen Schlüsselbund.
»Doch, aber in dieser Dosierung ist es ein Aphrodisiakum.«
Sie wandte mir ihr Gesicht zu, und in ihren Augen blitzte es. »Ich hoffe nicht, dass ich das nötig habe.«
Wir traten ein und im Haus flammte ein Deckenstrahler auf, ziemlich weit oben. Das Gebäude hatte die Ausmaße eines Lagerhauses und war wohl einst auch als solches genutzt worden.
»Sind hier drinnen keine Kameras?«, fragte ich.
»Nein.«
Auch der Fahrstuhl, zu dem sie mich führte, hatte riesige Ausmaße, ein ehemaliger Frachtaufzug. Sie drückte den Knopf mit der 3 und dem Namensschild ›Aden‹. In meinem Kopf klingelte es, als ich den Namen las. Kannte ich die Frau von früher? Falls ja, war es eine Schande, dass ich sie vergessen hatte. Wir verließen den Aufzug und der Weg endete nach fünf Metern vor einer massiven Holztür. Auf einem Messingschild stand derselbe Name wie neben dem Knopf im Lift. Meine Führerin schloss die Tür auf und bat mich mit übertriebener Höflichkeit einzutreten.
Als ich an ihr vorbei den geräumigen Loft betrat, lächelte sie. »Wie sagt man doch in Romanen immer? Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause, Herr Fuchs. Ich hoffe, Sie sind für eine Weile mein Gast.«
»Weile ist ein dehnbarer Begriff«, sagte ich und sah mich um.
Die blonde Frau hatte eine Reihe von Deckenstrahlern eingeschaltet, die den Raum in ein indirektes warmes Licht tauchten. Ob die Backsteinwände ihre orangene Färbung von Natur aus hatten oder nur durch das Licht so wirkten, war schwer zu sagen. Großformatige Pop-Art-Drucke sorgten für farbliche Abwechslung. Obwohl üppig möbliert, wirkten die einzelnen Einrichtungsgegenstände in der Weite des Raums verloren. Wohnzimmer wäre eine glatte Untertreibung gewesen.
Ich drehte mich zu der Frau um, die Handtasche und Mantel auf einen Sessel gelegt hatte. »Welchen Beruf muss man haben, um sich das hier leisten zu können, Millionärsgattin oder Millionärstochter?«
»Weder noch, Millionärin reicht auch. Leider bin ich nichts davon.«
»Wenn Sie die Wohnung in der Glücksspirale gewonnen haben, sollte ich es auch mal mit einem Los versuchen.«
»Ich habe die Wohnung zu günstigen Konditionen bekommen. Früher war
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