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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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Pkw nach unten. In fast halsbrecherischer Fahrt umkurvte er einen Betonpfeiler und raste auf mich zu.
    Das klobige, rundliche Design erinnerte an amerikanische Wagen der 1930er oder 1940er Jahre. Doch es war ein neues Modell, ein Chrysler PT Cruiser. Das Deckenlicht spiegelte sich auf der Windschutzscheibe, so dass ich den Fahrer nicht erkennen konnte. Aber er musste mich gesehen haben, sonst hätte er nicht direkten Kurs auf mich genommen.
    Ich drückte mich mit dem Rücken gegen die Wand und richtete den Revolver auf das Fahrzeug. Mit quietschenden Bremsen kam der Wagen dicht vor mir zum Stehen, und die Beifahrertür wurde aufgestoßen.
    »Steigen Sie schon ein!«, rief eine helle Stimme, die einer Frau.
    Vorsichtig und mit schussbereitem Revolver beugte ich mich nach unten und erkannte die Fahrerin. Es war die Blondine im kleinen Schwarzen.
    »Worauf warten Sie, Herr Fuchs?«, fragte sie. »Es sah mir vorhin nicht so aus, als seien Sie scharf auf ein Treffen mit Kranz' Männern.«
    Verblüfft ließ ich mich auf den Beifahrersitz fallen, zog die Tür zu und fragte: »Sie … kennen mich?«
    »Aber sicher«, sagte sie und schwenkte den Chrysler mit aufheulendem Motor zurück zur Rampe.

 

    10
    A uf dem nächsthöheren Parkdeck wollte ein roter Mazda vor uns auf die Rampe fahren. Meine blonde Chauffeuse drückte gleichzeitig auf Hupe und Gaspedal, so dass der Chrysler wie ein angriffslustig röhrender Hirsch nach vorn sprang. Das vibrierende Dröhnen des Sechzehn-Ventilers musste in der ganzen Tiefgarage zu hören sein.
    Hinter der Windschutzscheibe des Mazdas bemerkte ich die erschrockenen Gesichter des bebrillten Fahrers und einer Frau. Der Mann konnte gerade noch das Lenkrad herumreißen und seinen Wagen rutschend zum Stehen bringen.
    Wir rauschten an ihm vorbei, nahmen die Rampe in halsbrecherischem Tempo und schnitten ein wütend hupendes Taxi, als der Chrysler unter freiem Himmel auf die Straße schoss – ›in den Verkehr einfädeln‹ konnte man das waghalsige Manöver beim besten Willen nicht nennen.
    »Vielleicht sollten Sie sich anschnallen«, sagte die Blondine, während sie den PT Cruiser über eine tiefgelbe Ampelkreuzung hetzte.
    »Vielleicht sollten Sie daran denken, dass es so etwas wie eine Straßenverkehrsordnung gibt«, erwiderte ich und schnallte mich an.
    Sie warf mir einen kurzen spöttischen Blick zu, bevor sie wieder auf die Straße sah. »Wollen Sie mich wegen ordnungswidrigen Fahr ens anzeigen oder lieber gleich erschießen?«
    Jetzt erst wurde mir bewusst, dass ich den Smith & Wesson noch in der Hand hielt. Zwar war ich mir nicht sicher, ob ich meiner Retterin trauen konnte, doch ich steckte den Revolver in eine Tasche meiner Jacke.
    Die Frau sah forschend in den Rückspiegel. »Sieht nicht so aus, als hingen Kranz' Gorillas uns an den Hacken. Aber sicher ist sicher!«
    Ruckartig riss sie das Steuer herum und bog von der Leipziger Straße nach rechts in eine schmalere Straße ab. Bei unserer Geschwindigkeit ein riskantes Unterfangen, aber ihre zierlichen, ringgeschmückten Hände hatten den Wagen im Griff. Die Füße in den hochhackigen Schuhen spielten mit Gas-, Brems- und Kupplungspedal, als wären sie dazu geboren.
    Die Beine, die in schwarzen Netzstrümpfen steckten, waren schlank. Das kleine Schwarze war reichlich weit nach oben gerutscht und gab den Blick auf wohlgeformte Schenkel frei. Die großen Brüste wirkten im Verhältnis zu dem grazilen Körperbau ausladend und kamen in dem weit ausgeschnittenen Kleid noch besonders zur Geltung. Ihr längliches Gesicht wurde von großen graugrünen Augen beherrscht. Unter dem sorgfältig aufgelegten Make-up schimmerten ein paar Sommersprossen durch, die dem Gesicht einen vorwitzigen Ausdruck verliehen. Wer immer mir den blonden Schutzengel geschickt hatte, hatte ein außerordentlich attraktives Exemplar ausgewählt.
    »Musterung beendet?«, fragte sie. »Werde ich ›kv‹ geschrieben?«
    »Ja, für die schnelle Eingreiftruppe, Abteilung Kamikaze-Fahrer.«
    »Ohne meine Fahrkünste hätten die SGB-Typen Sie jetzt am Wickel«, sagte sie, während der Chrysler mit achtzig über einen Zebrastreifen jagte und einen Rollstuhlfahrer nur um Haaresbreite verfehlte. »War gar nicht leicht, Sie in dem unterirdischen Gewirr zu finden. Hätte ich nicht in der Tiefgarage geparkt, wäre ich nicht so schnell da gewesen.«
    SGB?
    Ich überlegte, woher ich die Abkürzung kannte. Das Sozialgesetzbuch war sicher nicht gemeint. Aber ich kam nicht dahinter

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