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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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INTEC-Konzern eigentlich sein Geld?«
    »Womit machen weltumspannende Konzerne heutzutage ihr Geld? Mit allem und jedem.«
    »Sehr hilfreich, wirklich«, murrte ich.
    »INTEC steht für International Technologies. Der Ursprung des Konzerns liegt im Silicon Valley. Mikroelektronik und Computerchips haben ihn groß gemacht. Inzwischen hat INTEC seine Finger in allen möglichen Geschäften. Zur Unternehmensgruppe gehören Pharmazie- und Waffenhersteller ebenso wie Fernsehsender und Zeitungs verlage.«
    »Etwa auch dein Blatt?«
    »Wo denkst du hin!«, rief sie in übertriebener Empörung. »Der ›Bärliner‹ ist stolz auf seine Unabhängigkeit und Überparteilichkeit!«
    »Klingt reichlich anachronistisch.«
    »Verkauft sich aber blendend.«
    »Um so mehr müssten große Verlagshäuser an einer Übernahme interessiert sein.«
    »Sind sie auch, du bist ein kluger Kopf«, lächelte Rica. »Letztes Jahr haben wir in der Redaktion schwer gekämpft, um die Geschäftsleitung zu veranlassen, ein verlockendes Übernahmeangebot von Global Standards Media abzulehnen. Mit Hängen und Würgen haben wir es geschafft.«
    »Global Standards.« Ich stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Dahinter stecken etliche Millionen.«
    »Wohl eher Milliarden. Global Standards ist ebenso wie INTEC ein großer Weltkonzern, der von Berlin aus sein Deutschlandgeschäft steuern und neu organisieren will. Die beiden sind ein bisschen wie Hund und Katze. Ursprünglich wollte Global Standards das Grundstück am Potsdamer Platz kaufen, wo jetzt der INTEC-Tower steht. Die Konzernleitung von GS war ziemlich sauer, als der Zuschlag an INTEC ging. Aber mit dem neuen Clay-Center am Tiergarten haben die GS-Leute eine gute Alternative gefunden. Und eine, die nicht so protzig ist wie der Riesenturm von INTEC.«
    »Womit wir wieder beim Thema wären: Das Massaker im IN-TEC-Tower, wie du es so hübsch poetisch genannt hast.«
    »Die Bezeichnung stammt nicht von mir. Der Anschlag ging unter diesem Namen durch die Medien.«
    »Mich interessiert nicht der Name, sondern die Tat an sich. Wie wurde sie ausgeführt, wie entdeckt? Und welche Ermittlungsergebnisse liegen vor?«
    »Die acht Mitglieder aus der höchsten INTEC-Spitze wurden abgeschlachtet wie zu Al Capones Zeiten, niedergemäht mit einer Maschinenpistole.«
    »Weißt du, mit was für einer Waffe?«
    »Das müsste ich nachsehen.«
    Sie ging zu einem der Regale, wo lange Reihen mit Aktenordnern standen. Auch ich stand auf und streckte mich. Ich fühlte mich verspannt und versuchte, meine Muskeln zu lockern. Dabei trat ich ans Fenster und sah hinaus auf die Spree.
    Es war früher Nachmittag, aber ziemlich düster. Die Sonne lag hinter großen Wolkenbänken verborgen. Starker Wind trieb dichte Regenschleier über den Fluss. Die wenigen Frachtkähne auf dem Wasser wirkten, als könnten sie jeden Augenblick ganz hinter dem Vorhang aus Grau verschwinden. Am Osthafen wurden drei, vier Kähne be- oder entladen. Die gelben Schutzhelme der hin und her eilenden Arbeiter sahen wie Ballons aus, die im Wind tanzten. Hin und wieder ließ eine auffrischende Bö den Regen gegen das Fenster prasseln, wie um mich zu vertreiben. Für einen Augenblick überfiel mich der absurde Gedanke, dass sich sogar die Natur gegen mich verschworen hatte.
    Ich kam mir vor wie einer der Frachtkähne da draußen. Unter mir kein fester Grund, um mich herum nur undurchdringbare Schleier, die mir entgegenschlugen und alles verdeckten, mir die Sicht versperrten, auf die Wahrheit und auf mich selbst. Zorn kochte in mir hoch, und ich wusste nicht, wohin damit. Wen sollte ich hassen, wen anklagen und bestrafen, wenn ich nichts über mich wusste? Ich stand kurz davor, die Fensterscheibe einzuschlagen, um hinaus nach dem Regen zu greifen, ihn zu packen und zu schütteln.
    Ein klar denkender Rest meines gebeutelten Verstands sagte mir, dass es unmöglich war. Der Regen und die Leute, die mich jagten und die ich für meinen Zustand verantwortlich machte, ohne es genauer zu wissen, hatten noch etwas gemeinsam: Sie waren ungreifbar und damit auch unangreifbar.
    Rica trat dicht hinter mich, legte ihre Hände auf meine Schultern und drückte ihre rechte Wange sanft gegen mein Gesicht. Ihr betörender Duft und die Wärme ihres schönen Körpers brachten die Erinnerung an die lustvollen Stunden zurück, die wir am Morgen verbracht hatten.
    Ich fragte mich, ob die Gegenwart nicht viel mehr zählte als die Vergangenheit. Was immer auch hinter mir lag, nichts

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