Wenn der Golem erwacht
davon konnte ich ungeschehen machen. Lohnte es sich, mit aller Macht Dinge ausgraben zu wollen, die vielleicht besser im Verborgenen blieben? Wenn ich dieser Robert Fuchs war – und es gab kaum einen Grund, daran zu zweifeln –, war ich nach allem, was Rica erzählt hatte, alles andere als ein sympathischer Zeitgenosse. Wollte ich mich wirklich daran erinnern?
Ich löste mich von Rica, drehte mich zu ihr um und fragte: »Warum? Warum hilfst du mir?«
»Wir haben einen Deal.« Sie tippte mit dem Zeigefinger gegen meine Stirn. »Hast du das auch schon vergessen?«
»Ist es nur deshalb?«
»Was willst du hören? Dass ich es wegen deiner schönen grauen Augen tue?«
»Das wäre nicht das Schlechteste«, seufzte ich. »Viel Angenehmes habe ich heute nicht gerade über mich erfahren.«
»Da wir uns noch keine vierundzwanzig Stunden kennen, halte ich es für etwas verfrüht, mich in dich zu verlieben. Aber lass dir gesagt sein: Wenn du laut Aktenlage nicht so ziemlich der abgefeimteste Kerl auf diesem Erdball wärst, hättest du große Chancen, mein Herz zu erobern.«
»Wegen meiner schönen grauen Augen?«
Sie lächelte mich vieldeutig an. »Ich glaube, du hast meine tief verborgen geglaubten Mutterinstinkte geweckt. Ein Mann ohne Erinnerung, ohne Freunde und Hilfe, verfolgt und gejagt, den muss eine Frau einfach beschützen wollen.«
»Nicht ganz das, was ich hören wollte.«
»Was sonst? Dass du unwiderstehlich bist, schön wie George Clooney und potent wie Julio Iglesias?«
»Schon besser, wenn auch gelogen«, lachte ich und nahm sie in die Arme.
Unsere Blicke trafen sich. War es Zuneigung, was ich in Ricas Augen las? Nein, das war wohl zu viel verlangt. Aber zumindest schien ich sie nicht anzuwidern, was bei meinem Vorleben schon viel wert war. Ich zog sie an mich und küsste sie, wobei auf meiner Seite ebenso viel Verlangen wie Dankbarkeit im Spiel war.
Als wir uns wieder voneinander lösten, schüttelte Rica spielerisch-mahnend den Zeigfinger ihrer rechten Hand vor meinem Gesicht. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Der Ordner mit Berichten über das INTEC-Massaker liegt auf dem Tisch. Ich habe einen Artikel aufgeschlagen, in dem genaue Angaben über die Mordwaffen gemacht sind.«
»Du scheinst Unterlagen über alles Mögliche zu archivieren.«
»Wer schreibt, braucht Recherchematerial. Würde ich Romane schreiben, würde ich wahrscheinlich in einer riesigen Bibliothek wohnen. Alles eine Frage von Input und Output.«
Wir setzten uns an den Tisch, und ich studierte den Zeitungsartikel, der Einzelheiten über den Mord enthielt.
Der unbekannte Täter drang, entweder allein oder mit Komplizen, vermutlich zwischen zehn Uhr abends und Mitternacht in die INTEC-Zentrale ein. Wie ihm das gelingen konnte, ohne einen Alarm auszulösen und ohne dem Wachdienst aufzufallen, ist noch ungeklärt. Laut Polizeibericht hat er die Mitglieder des INTEC-Vorstands mitten in ihrer Sitzung überrascht. Sie sollen kaum dazu gekommen sein, sich von ihren Stühlen zu erheben, so schnell hat der Mörder das Feuer eröffnet. Jede der Leichen wurde von zahlreichen Kugeln getroffen. Ein Polizeisprecher bezeichnete sie als ›regelrecht zersiebt‹. Tatwaffe ist nach den ballistischen Untersuchungen eine Maschinenpistole vom Typ Heckler & Koch MP5K 9 mm.
»Eine MP5K also«, sagte ich halblaut. »Als hätte ich's geahnt!«
»Wieso?«, fragte Rica.
»Mit den Dingern waren auch die Gorillas in der seltsamen Klinik ausgerüstet.«
»Ist es keine verbreitete Waffe?«
»Doch, sie ist wegen ihrer Kompaktheit und Zuverlässigkeit sehr beliebt, bei der Bundeswehr ebenso wie beim FBI.«
»Dann kann es ein Zufall sein, dass deine Bewacher die gleichen MP's hatten wie der INTEC-Killer.«
»Der Zufall ist ein Rätsel, welches das Schicksal dem Menschen aufgibt.«
Rica machte große Augen. »Ist das von dir?«
»Nein, von Hebbel, glaube ich.«
»Wahnsinn! Ein Mann, der sich in moderner Waffentechnik ebenso gut auskennt wie in deutscher Dichtkunst. Robert Fuchs oder wie immer du wirklich heißt, ich möchte verdammt gern wissen, wer du bist!«
»Rate mal, wer noch!«
Während Rica uns ein Mittagessen zubereitete, studierte ich ihre Artikel- und Nachrichtensammlung über den Mord im INTEC-Tower. Der einzige Hinweis auf ein mögliches Tatmotiv war der gewaltsam geöffnete und völlig ausgeräumte Wandsafe in Konrad Bauers Büro. Da andere Safes nicht, auch nicht versuchsweise, aufgebrochen worden waren und auch keine Papiere
Weitere Kostenlose Bücher