Wenn der Golem erwacht
ist nicht verboten.«
»Er scheint sich nicht nur mit Paragraphen auszukennen.« Ich nahm noch einmal das Foto zur Hand. »Wenn das kein Handy ist, was da sein Jackett an der Hüfte ausbeult, ist es eine Pistole oder ein Revolver.«
»Kranz hat es bei der Bundeswehr zum Hauptmann der Reserve gebracht. Er hat sich freiwillig gemeldet, obwohl er als Berliner vom Wehrdienst befreit war. Schon damals war er ein hervorragender Schütze und hat sich jede Menge Medaillen eingefangen. Moment mal.«
Rica lief ins angrenzende Zimmer. Durch die offene Tür beobachtete ich, wie sie ein Regal mit Pappstellern durchforstete. Die Gedanken über diesen Dr. Kranz verblassten angesichts ihres perfekt gebauten Körpers und der Unbefangenheit, mit dem sie ihn mir darbot. In meiner Lage so einer Frau zu begegnen, konnte man wahrlich Glück im Unglück nennen.
»Hier ist es«, rief sie und kehrte mit einer Zeitschrift zurück. »Die Ausgabe mit meinem Artikel über Kranz.« Sie hielt mir das aufgeschlagene Magazin hin. »Hier, schau!«
Man sah Kranz von der Seite auf einem Schießstand, eine Pistole im Beidhandanschlag und einen Gehörschutz auf dem Kopf.
»Sieht aus, als wollte er sich für eine Rolle in ›Stirb langsam‹ bewerben«, meinte ich.
»Kranz selbst hat vorgeschlagen, dass wir das Interview dort führen und nicht in seinem Büro. Er sieht sich gern als Mann der Tat.«
»Fragt sich bloß, welcher Tat.« Ich versuchte, mich an meine Begegnung mit Kranz auf dem INTEC-Empfang zu erinnern, vergeblich. Mir war der SGB-Leiter so unbekannt wie ich selbst. »Irgendetwas muss in den letzten sechs Wochen geschehen sein, was in den Zuständigkeitsbereich der SGB fällt. Und es muss mit INTEC oder zumindest dem INTEC-Tower in Verbindung stehen.«
»Mein Gott!«, keuchte Rica und wurde blass. Sie schlug mit der flachen Hand gegen ihre Stirn. »Dass ich daran nicht eher gedacht habe!«
»Woran?«
»An das Massaker im INTEC-Tower!«
12
D er Potsdamer Platz aus der Vogelperspektive, aufgenommen von einem Hubschrauber, der über dem Ort schwebte. Die gewaltige Kugel des Imax-Kinos am Marlene-Dietrich-Platz glänzte im strahlenden Sonnenschein und sah aus wie ein künstlicher Mond. Die Kamera glitt über flache Hochhausdächer und steile Fassaden mit Dutzenden sich gleichender Fenster, ließ das stark reflektierende Sony-Center hinter sich und umkreiste den INTEC-Tower. Das T-förmige Dach mit dem stilisierten INTEC-Zeichen füllte das Bild aus.
»Erst im Frühjahr wurde der INTEC-Tower als Sitz des deutschen INTEC-Ablegers unter großen Feierlichkeiten eingeweiht«, verkündete aus dem Off eine sonore Männerstimme, deren vibrierender Tonfall die Erwartung auf das Kommende anheizte. »In der vergangenen Nacht hat sich hier ein blutiges Drama ereignet. Die gesamte Führungsspitze von INTEC Germany, die sich zu einer Sondersitzung zusammengefunden hatte, fiel einem brutalen Anschlag zum Opfer. Neun Tote wurden einschließlich eines Wachmanns in der INTEC-Zenrale im obersten Teil des Turms gefunden. Von Täter und Motiv fehlt bisher jede Spur.«
Eine andere Kamera zeigte das Geschehen vor dem Gebäude. Uniformierte Polizisten riegelten den Vorplatz gegen Reporter, Fotografen, Kameraleute und Schaulustige ab. Ein dunkler Audi wurde von einem Polizeibeamten durchgewunken und hielt zwischen zwei grün-weißen Polizeifahrzeugen an. Die Beifahrertür schwang auf und der aussteigende Mann wurde von einem ganzen Mikrofonwald umlagert. Sofort waren einige Polizisten zur Stelle, um die Meute zurückzuhalten.
Ein Reporter drängte sich trotzdem vor, stieß sein blaues Mikro fast in das Gesicht des Neuankömmlings und rief: »Dr. Kranz, welches Interesse hat die Sicherungsgruppe Berlin an diesem Fall? Hat das Attentat einen politischen Hintergrund?«
Der Gefragte drehte sich zur Kamera um und lächelte unverbindlich. Seine Augen waren hinter den getönten Brillengläsern verborgen. »Ich bin nur hergekommen, um mich zu informieren. Ein möglicher politischer Hintergrund ist zu diesem Zeitpunkt reine Spekulation. Alles Weitere können Sie der für heute Nachmittag anberaumten Pressekonferenz des Polizeipräsidenten entnehmen.«
»Heißt das, die SGB wird den Fall nicht an sich ziehen?«, fragte der Reporter.
»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehe ich keinen diesbezüglichen Handlungsbedarf.«
Damit wandte sich der Mann mit der Brille ab und steuerte auf die verglaste Eingangsfront des Gebäudes zu. Ein zweiter Mann, der aus dem Audi
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