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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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nicht viel sagen. Mit Arveds Ausscheiden aus der SGB und seinem Weggang nach Brasilien sei die Angelegenheit für ihn erledigt, so Dr. Kranz.«
    Rica lachte. »Als ich ihn auf Arved ansprach, war Kranz' gute Laune wie weggeblasen. Das war noch auf dem Schießstand, und er hat prompt eine Fahrkarte geschossen. Dabei wirkt er sonst gar nicht wie jemand, der sich leicht aus der Fassung bringen lässt. Aber es ist verständlich. Als er seinen Bruder in die SGB holte, hat die Presse wirklich von allen Seiten auf ihn eingeprügelt. Vetternwirtschaft und Seilschaft waren noch die netteren Vokabeln.«
    »Hat dieser Arved Kranz die SGB deshalb wieder verlassen?«
    »So munkelte man. Offiziell hieß es nur, er habe das Angebot eines großen Sicherheitsunternehmens angenommen, beim Aufbau einer brasilianischen Zweigstelle zu helfen, und scheide deshalb aus der SGB und aus dem Staatsdienst aus.«
    »Wann war das?«
    »Arved Kranz hat den Dienst zum 31. Juli quittiert.«
    »Was hat er vorher gemacht?«
    »Er war beim Bundesgrenzschutz, bevor sein Bruder ihn in die SGB holte. Die ganze Affäre war wohl eine ziemliche Enttäuschung für Dr. Kranz, der Arved zu seiner rechten Hand machen wollte. Diese Position hat jetzt Martin Knaup.«
    »Der Mann mit dem roten Fleck auf der Wange. Ich möchte wissen, was er gestern Abend am Potsdamer Platz gesucht hat.«
    »Dich vermutlich.« Rica legte einen Arm um meine Schultern und küsste mich auf die Wange. »Zum Glück war ich schneller.«
    »Darm müssen Kranz und seine Leute zumindest geahnt haben, dass ich dorthin gehe.« Ich schwieg nachdenklich und fuhr dann leise fort: »Vielleicht stimmt es ja.«
    »Was?«
    »Dass der Täter zum Ort seiner Tat zurückkehrt. Vielleicht hat Dr. Kranz genau damit gerechnet und deshalb seine Leute in der Nähe des INTEC-Towers postiert.« Ich atmete schwer und seufzte aus tiefstem Herzen: »Scheiße!«
    »Definier das bitte etwas näher«, sagte Rica. »Was genau findest du Scheiße?«
    »Alles! Vermutlich bin ich der kaltblütigste Killer seit Jack the Ripper und kann mich an nichts erinnern. Hast du nicht Angst, mit mir allein zu sein?«
    Sie bedachte mich mit einem verhaltenen Lächeln. »Inzwischen hättest du mich mehr als einmal umbringen können. Außerdem, was hättest du davon? Ich kann dir mit meinen vielfältigen Kontakten helfen. Tot nütze ich dir gar nichts.«
    »Aber tot könntest du mich auch nicht verraten.«
    »Bangemachen gilt nicht!«
    Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und küsste mich auf den Mund. Als ich die fordernden Bewegungen ihrer Zunge spürte, fragte ich mich, ob sie der Gedanke, mit einem Massenmörder zu schlafen, erregte.
    Als sie ihre Hände unter meinen Hosenbund schob, packte ich ihre Handgelenke und hielt sie fest. »Jetzt nicht, bitte!«
    »Heute Vormittag warst du nicht so zurückhaltend«, schmollte Rica.
    Ich zwang mich zu einem humorvollen Tonfall: »Wie sagte doch vorhin eine gewisse attraktive junge Dame zu mir? Erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Was ist mit dem Konferenzraum, in dem der Mord geschah? Gibt es Aufnahmen?«
    »Ein paar Polizeifotos, die an die Presse weitergegeben wurden. Willst du sie sehen?«
    »Natürlich.«
    Rica blätterte in dem Aktenordner und zog nach kurzem Suchen einen weißen Papierumschlag hervor, dem sie einen Satz Farbfotos entnahm. Mit geschickten Bewegungen breiteten ihre schlanken Hände die Fotos auf dem Tisch aus.
    Es waren Bilder wie aus einem Horrorfilm, nur schlimmer, denn sie waren echt. Die Ermordeten lagen in ihrem Blut, teilweise in grotesker Körperhaltung. Eine blonde Frau um die fünfzig hing zur Seite geneigt auf ihrem Stuhl. Der Kopf war ihr auf die linke Schulter gefallen. Ihr Gesicht drückte das Entsetzen aus, das sie in den letzten Sekunden vor ihrem Tod befallen hatte. Aber noch etwas anderes las ich darin: eine Anklage.
    Nein, sagte ich mir, das war bloß Einbildung. Die Frau und andere Gesichter auf den Fotos erinnerten mich an meinen Albtraum, an die anklagenden Blicke der Toten in ihrem Blut. Selbst die Fische waren auf den Fotos zu sehen. Einige lagen verreckt zwischen den Leichen, andere schwammen munter hinter Glas. Ein paar große Aquarien standen an den Wänden des Konferenzsaals. Einige waren unter den MP-Salven zersprungen. Das Wasser war ausgelaufen und hatte sich mit dem Blut vermischt. Tote Fische und tote Menschen, lebende Fische, anklagende Blicke. Alles wie in meinem Traum!
    »Nein!« Erst als Rica mich entsetzt ansah, wurde mir bewusst,

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