Wenn der Golem erwacht
Zumal du dich auf dem Empfang mit Kranz sehr ausgiebig unterhalten hast.«
»Woher weißt du das?«
»Ich war auch da und habe euch beobachtet. Das einzige Mal, dass ich den geheimnisumwitterten Robert Fuchs von Angesicht zu Angesicht gesehen habe. Ich wollte dich aushorchen, konnte aber nicht an dich rankommen.«
»Hol das Versäumte nach und tu dir keinen Zwang an!«
Sie blieb ernst. »Damals beschloss ich, eine große Story über dich zu schreiben, und habe fleißig Material gesammelt. Aber plötzlich, ungefähr vor ein bis zwei Monaten, warst du von der Bildfläche verschwunden, so als hätte es dich nie gegeben.«
»Vielleicht ist das die Erklärung«, überlegte ich laut. »Wenn Robert Fuchs, wie du sagst, erst seit 1996 aktenkundig ist und keine Unterlagen über seine Vergangenheit existieren, dann hat er selber möglicherweise auch nicht existiert.«
Ihre Hand strich über meine Schulter. »Angesichts dessen bist du ziemlich real.«
»Realer vielleicht als der angebliche Robert Fuchs. Möglicherweise heiße ich in Wahrheit anders. Der Name könnte nur für die Öffentlichkeit verwendet worden sein. Irgendwann hatte die Chimäre ihre Schuldigkeit getan und verschwand wieder in der Versenkung.«
»Das hört sich jetzt aber sehr nach James Bond an«, sagte Rica und sah mich zweifelnd an. »Und es erklärt nicht, weshalb du selbst dich an nichts erinnerst.«
»Vielleicht waren diejenigen, die Robert Fuchs geschaffen haben, der Meinung, ihre eigene Schöpfung könnte ihnen gefährlich werden. Frankensteins Monster wendet sich im Zorn gegen seinen Schöpfer, irgendetwas in der Richtung.«
»Dann hätten sie dich einfach umbringen können. Nach allem, was du mir von deinen Verfolgern erzählt hast, hätten sie davor nicht zurückgeschreckt.«
»Wohl wahr«, gab ich zu und wehrte mich dagegen, ins Grübeln zu verfallen. »Erzähl mir mehr von der SGB. Wenn die Jungs mich jagen, sollte ich mich mit ihnen auskennen.«
»Die SGB ist ein relativ junger Verein, gegründet, nachdem sämtliche wichtigen Regierungsbehörden nach Berlin gezogen waren. Da unsere Spreestadt ein etwas anderes Kaliber ist als das verschlafene Bonn, wurden bald erhebliche Sicherheitslücken offenbar. Die SGB wurde als Bundespolizeibehörde geschaffen, um den Schutz des politischen Berlins zu optimieren. Eine Art Bundesgrenzschutz ohne Uniform.«
»Also bessere Bodyguards für den Bundeskanzler und sein Kabinett?«
»Das auch, aber noch viel mehr. Die Sicherungsgruppe Berlin wird auch ermittelnd tätig, arbeitet eng mit dem Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämtern, dem Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst zusammen.«
»Wem untersteht dieser Dr. Kranz?«
»Dem Bundesinnenminister.«
»So wie du über Kranz gesprochen hast, scheinst du dich ein wenig mit ihm auszukennen.«
»Anfang August habe ich eine Story über ihn gemacht. Er ist ein ziemlicher Karrieretyp, Spross einer Juristenfamilie und selbst Jurist. Er hat beide Staatsexamina mit ›sehr gut‹ abgelegt.«
»Nicht schlecht der Specht. Das ist bei den Juristen, wo schon ›vollbefriedigend‹ als Prädikatsexamen gilt, ungefähr so häufig wie ein zweiköpfiges Kalb.«
Rica sah mich höchst erstaunt an. »Stimmt, aber woher weißt du das?«
Nach einigem Nachdenken antwortete ich: »Keine Ahnung. Vielleicht habe ich das irgendwo gelesen.«
»Oder du hast selbst Jura studiert!«
»Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Wirke ich auf dich wie ein Paragraphenreiter?«
»Reiter schon, der Rest kommt weniger hin.«
»Erzähl mir mehr von Kranz!«, bat ich. »Ich habe das Gefühl, er ist eine wichtige Figur auf dem Schachbrett.«
»Bei den Schwarzen oder den Weißen?«
»Wie soll ich das wissen, Rica? Ich weiß ja nicht mal, auf welcher Seite ich selbst stehe.«
»Kranz ist ein schwer zu durchschauender Typ. Mit seinen Examina war es für ihn nicht schwer, eine Bilderbuchkarriere im Staatsdienst zu machen. Er gehörte zum Führungsstab im Bundesinnenministerium und war maßgeblich an dem Gesetzentwurf zur Gründung der Sicherungsgruppe Berlin beteiligt. Als das Gesetz durch war und Kranz zum Leiter der SGB ernannt wurde, ging das Gerücht um, die Bundesregierung habe sich ihre eigene Polizei geschaffen, eine bewaffnete Task Force.«
»Und? Was ist dran an dem Gerücht?«
»Mit seinem Werdegang ist Kranz alles andere als ein Gegner der Regierung. Andererseits kann man ihm keine Pflichtverletzungen nachweisen. Er hat ein politisches Amt inne, aber das
Weitere Kostenlose Bücher