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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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abgesetzt. Von da bin ich zur U-Bahn, natürlich mit einigen kleinen Umwegen. Ich konnte keine Verfolger feststellen.«
    »Ich glaube nicht, dass Kranz so schnell aufgibt. Nicht bei dem Aufwand, den er betrieben hat, um mich zu kriegen.«
    »Er hat nicht aufgegeben«, sagte Rica, während sie zwei Kochtöpfe aus einem Hängeschrank nahm. »Einige Kollegen wurden unter fadenscheinigen Vorwänden nach mir befragt, von Leuten, die schon auf zehn Meilen gegen den Wind nach SGB rochen.«
    »Und?«
    »Einige meiner Kollegen haben wirklich nichts gewusst, die anderen haben so getan. Ich selbst erhielt im Büro übrigens auch ein paar Anrufe, die vermutlich aufs Konto von Kranz gehen.«
    Ich zeigte auf die Umhängetasche und erkundigte mich nach dem Inhalt.
    »Eine Fotoausrüstung, die ich aus der Redaktion mitgebracht habe. Ich glaube, sie wird uns sehr bald nützlich sein.«
    Wenig später erfüllte der würzige Duft der Kräutersuppe die Wohnung, und ich erzählte Rica beim Essen von dem Fernsehbericht über die Einweihung des Clay-Centers.
    »Was hat es mit diesem Gesetz zur Neuordnung der neurotechnologischen Forschung auf sich?« fragte ich.
    »Das ist zur Zeit ein heißes Eisen auf der politischen Bühne. Die Bundesregierung liegt deshalb im Clinch mit der Opposition, mit den Wirtschaftsverbänden und sogar mit sich selbst. Man sagt, dem Kanzler wäre es am liebsten, er hätte nie etwas von dem Gesetz gehört. Er möchte die Forschung unter starker staatlicher Kontrolle halten, im Gegensatz zu seinem Stellvertreter Thomas Schling. Der Vizekanzler würde der uneingeschränkten Forschung auf diesem Sektor lieber heute als morgen Tür und Tor öffnen. Man sagt, als früherer Forschungsminister von Nordrhein-Westfalen unterhalte Schling enge Kontakte zur Industrie.«
    »Warum der Streit um das Gesetz? Was ist daran so delikat?«
    »So ziemlich alles, wenn man die öffentlichen Debatten verfolgt, die seit vielen Monaten um das Thema geführt werden. Im Kern geht es um eine Regelung dessen, was im Bereich der neurotechnologischen Forschung erlaubt sein soll und was nicht.«
    »Was ist unter diesem Begriff zu verstehen: neurotechnologische Forschimg?«
    »Eine Forschung zum Wohle des Menschen natürlich.« Rica grinste breit. »Und zum Wohle der Unternehmen, die mit den Forschungsergebnissen die Menschheit beglücken. Sie wollen Krankheiten und Behinderungen durch die Implantation von Computerchips heilen oder mildern. Es gibt zum Beispiel Menschen, die am Locked-in-Syndrom leiden. Das Gehirn der Betroffenen funktioniert tadellos, aber sie können nicht einmal den kleinen Finger bewegen und sind mangels Kommunikationsmöglichkeit von der Außenwelt abgeschlossen. Diesen Menschen könnte man Elektroden einsetzen, die ihre Hirnströme direkt an einen Computer weiterleiten. Sie könnten allein durch die Kraft ihrer Gedanken Texte schreiben, die für andere sichtbar auf einem Monitor erscheinen. Das klingt zwar ein bisschen nach Sciencefiction, aber in der Richtung wird schon seit längerem ernsthaft geforscht.«
    »Weiter!«, forderte ich fasziniert. »Erzähl mir mehr über die Anwendungsmöglichkeiten.«
    »Man arbeitet an einem Sehchip für Blinde, der die Funktion zerstörter Teile der Netzhaut übernehmen und dem Sehnerv den benötigten Dateninput liefern soll. Eine Art Hirnschrittmacher für Parkinsonerkrankte ist ebenso im Gespräch wie ein Chip, der das Gehirn zum Ausstoß eines bestimmten Botenstoffes veranlasst, der an Depressionen Leidenden das seelische Gleichgewicht wiedergibt. Natürlich denken die Eierköpfe in den Forschungsanstalten längst weiter. Durch eine Verbindung von Computer und menschlichem Gehirn soll es möglich werden, den Hirninhalt und sogar die gesamte Persönlichkeit zu scannen und ihn in einen Datenspeicher zu übertragen. Das Ich auf Diskette sozusagen. Andere Forscher träumen von einer Systemerweiterung des menschlichen Gehirns, von der Verstärkung der Sinneswahrnehmung oder gar von der Schaffung neuer Wahrnehmungsmöglichkeiten. Hier setzen die Kritiker an, die einen Eingriff in die Natur des Menschen und in die Schöpfung …«
    »Das ist es!«, rief ich dazwischen und sprang vor Erregung so hastig auf, dass der Rest meiner Kräutersuppe den Teppichboden tränkte. »Rica, genau das haben sie mit mir gemacht! Ich verfüge über Wahrnehmungsmöglichkeiten, die kein anderer hat. Und mir fehlt ein Teil meiner Erinnerungen. Vielleicht haben sie ihn übertragen, vielleicht ist er aber bei dem

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