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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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geäußert.«
    »Jetzt bringen Sie aber Äpfel mit Birnen durcheinander!«, zeigte sich Larisch zum ersten Mal leicht ungehalten. »Die Beratungen im Kabinett fallen ganz zufällig mit der Einweihung des Clay-Centers zusammen. Der Termin für die Einweihung steht schon seit über einem Jahr fest.«
    »Aber Global Standards ist doch an einem guten Einvernehmen mit der Bundesregierung gelegen?«
    »Jeder Konzern, der in Deutschland tätig ist, sollte diesen Wunsch haben. Aber ich stehe heute nicht hier, um für Global Standards zu sprechen. Ich …«
    »Vielen Dank für das Statement«, fiel der Reporter dem Pressesprecher ins Wort und wandte sich zur Kamera um. »Meine Damen und Herren, das neue Büro- und Kongresscenter am Tiergarten trägt einen geschichtsträchtigen Namen. General Lucius D. Clay, von 1947 bis 1949 Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone, hat während der Berlinblockade durch die Sowjetunion zusammen mit Bürgermeister Ernst Reuter die Luftbrücke organisiert. Ihm zu Ehren wurde der neue Gebäubekomplex auf den Namen Clay-Center getauft. Eine sechs Meter hohe Statue des Generals soll das Dach des Centers schmücken. Noch ist sie der Öffentlichkeit nicht gezeigt worden. Die Statue wird erst am Tag der Einweihung aufgestellt und in Anwesenheit der Ehrengäste mit einem Spezialhelikopter eingeflogen. So viel aus dem Tiergarten. Ich gebe zurück …«
    Ich griff zur Fernbedienung und drückte auf den Aus-Knopf. Statt mich abzulenken hatte der Bericht mir neuen Stoff zum Nachdenken gegeben.
    Clay-Center – Global Standards – INTEC – Gesetz zur Neuordnung der neurotechnologischen Forschung – Einweihungsrede des Bundeskanzlers. All das wirbelte in meinem Kopf herum wie Herbstlaub im Wind. Ich ahnte mehr als ich wusste, dass es etwas mit mir zu tun hatte, mit meiner verlorenen Erinnerung, mit dem, was man mit meinem Gehirn angestellt hatte.
    Aber wann immer ich eins der losen Blätter zu fassen und ins Gesamtbild einzufügen versuchte, griff ich ins Leere. Zu viel lag noch im Ungewissen.
    Gegen halb zwei am Nachmittag schreckte mich ein melodiöses Klingeln an der Tür aus der Grübelei. Zweimal lang, zweimal kurz und wieder zweimal lang. Es war das mit Rica verabredete Signal, dass sie allein war und ich sie einlassen konnte. Sie hatte keinen Wohnungsschlüssel mitgenommen, um mein Versteck bei einer eventuellen Kontrolle durch die SGB nicht zu verraten.
    Ich ließ sie zwei Minuten warten und blickte hinunter auf die Straße. Eine große Gruppe Kinder mit Taschen und Rucksäcken, vermutlich eine Schulklasse auf dem Ausflug, zog lärmend in Richtung Friedrichstraße. Der Autoverkehr erschien mir normal: Zwei Taxis, der Lieferwagen einer Bäckerei und mehrere Pkw. Also ging ich zur Wohnungstür und drückte auf den Öffnerschalter. Während ich wartete, hielt ich die PSM durchgeladen und entsichert in der Hand.
    Einen Fahrstuhl gab es nicht. Durch den Türspion sah ich Rica mit zwei gefüllten Plastiktüten die Treppe heraufkommen. An ihrer linken Seite hing eine weitere Tasche, die wie eine Reisetasche mit mehreren Seitenfächem aussah. Ich zog die Sicherheitskette zur Seite und öffnete die Tür. Rica schlüpfte herein, und ich verschluss die Tür wieder.
    Rica begrüßte mich mit einem bezaubernden Lächeln und einem zärtlichen Kuss. Amüsiert blickte sie auf die Pistole. »Hoffentlich kannst du auch mit einem Dosenöffner umgehen. Ich war eben noch im Supermarkt. Erster Gang ist eine Kräutersuppe. Dann gibt es Kaviareier und Lachsschnitten, dazu Rotwein. Ist das genehm?«
    »Mir ist alles genehm, was essbar ist«, sagte ich und nahm ihr die Tüten ab. »Aber warum speisen wir so vornehm? Gibt es etwas zu feiern?«
    Sie setzte eine verschwörerische Miene auf. »Wart es ab! Erst mal wird gegessen. Wenn du nur halb so viel Hunger hast wie ich, sollte das auch in deinem Interesse liegen.«
    »Liegt es«, sagte ich und half ihr, die Einkäufe auszupacken. »Wie war es draußen? Hat sich die SGB an deine Hacken geklemmt?«
    »Dazu habe ich es nicht kommen lassen. Als ich heute Morgen aus der U-Bahn stieg, bin ich auf einem Umweg zur Redaktion gegangen. Kranz' Männer konnten unmöglich einen Rückschluss darauf ziehen, woher ich kam. Und selbst wenn, hätten sie die Spur im Untergrund verloren.«
    »Und wie bist du wieder hergekommen?«
    »Auf demselben Weg, auf dem ich auch gestern das Redaktionsgebäude verlassen habe. Einer unserer Lieferwagen hat mich an einer belebten Ecke

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