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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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Erkenntnis kam mir erst, als mindestens zweihunderttausend Volt durch meinen Körper jagten. Es war ein Gefühl, als hätte mich ein Blitzschlag getroffen.
    Ich war unfähig mich zu rühren, und meine Muskeln zuckten in heftigen Krämpfen. Ich fühlte mich, als würden mir sämtliche Glieder gleichzeitig ausgerissen. Mein ganzer Körper war ein einziger Schmerz.
    Aber als am schmerzhaftesten empfand ich die Tatsache, dass Rica den Wagen beschleunigte und davonbrauste – ohne mich.

 

    19
    K indheit, Sommer, Spaß, Gelächter, Wasser.
    Zwei Jungen stehen nahe eines bewaldeten Ufers im Wasser und spielen mit einem Ball. Einer der Jungen bin ich. Der andere, viel größer und kräftiger, wirft den Ball mit solcher Härte, dass ich ihn nur schwer zufassen kriege. Und wenn doch, lässt der harte Aufprall meine Finger brennen.
    Mein Gegenüber lacht über meine angebliche Unbeholfenheit und Schwäche. Es ist ein hartes, bitteres Lachen, und der größere Junge, dem die scharfen Gesichtszüge etwas Raubvogelhaftes verleihen, sieht mich mitleidlos an. So wie ein Bussard seine Beute anstarrt.
    Wieder trifft mich der Ball so hart, dass er meinen Fingern entgleitet. Der Schmerz in meinen Fingern lässt mich aufstöhnen, und ich verziehe das Gesicht. Der andere Junge lacht wieder, laut und kehlig, wie um mich absichtlich zu verhöhnen.
    Während ich bis zum Bauch im Wasser stehe und ausgelacht werde, wollen mir Tränen in die Augen schießen. Wie schon so oft, wenn der andere mich verspottet oder gedemütigt hat. »Diesmal nicht!«, hämmert es in mir. Wut steigt in mir hoch, verdrängt das Gefühl der Hilflosigkeit und verwandelt sich in Zorn.
    Ich gehe mit ungelenken Schritten durch das Wasser und greife mir den schweren, harten Ball. Das Leder hat sich mit Nässe vollgesogen. Jetzt stehe ich etwas näher am Ufer und fühle unter meinen Füßen festen Boden anstatt des nachgiebigen Kieses. Ein guter Ort, um Rache zu nehmen!
    Fest in das lachende Raubvogelgesicht schauend, nehme ich Maß und schleudere den Ball mit einer plötzlichen Bewegung über den See, auf dem weiter draußen zahlreiche Boote kreuzen. Der Spötter ist überrascht, reagiert zu spät, als er endlich die Arme hochreißt. Der Ball erwischt ihn mitten im Gesicht. Er stößt einen gutturalen Laut aus, schwankt und fällt ins Wasser. Wie eine umgekippte Schießbudenfigur.
    Erst nach langen Sekunden wird mir klar, dass ich es bin, der das meckernde Gelächter ausstößt. Nicht Erheiterung ist dafür verantwortlich. Es ist ein befreiendes Lachen, weil ich es gewagt habe, mich gegen den Größeren zu wehren – und das mit Erfolg! Ich begreife, dass Wut und Zorn hilfreicher sein können als duldsames Ausharren.
    Der andere taucht wieder aus dem Wasser auf und hält eine Hand vor sein Gesicht, als wolle er den schmerzhaften Wurf nachträglich abwehren. Seine Augen fixieren mich und blanker Hass schlägt mir entgegen. Als er die Hand vom Gesicht nimmt, sieht er erst recht aus wie ein beutegieriger Bussard. Seine Nase ist jetzt etwas verbogen, was den raubvogelhaften Eindruck seines Gesichts noch verstärkt.
    Mit schnellen Schritten stürmt er auf mich zu, und ich versuche, zum Ufer zu fliehen. Er erkennt meine Absicht und schneidet mir den Weg ab.
    Der Boden unter meinen Füßen ist glatt und ich rutsche aus. Für einen langen Augenblick bin ich von Wasser umgeben. Als ich mich wieder erheben will, ist der andere schon über mir. Wie ein dunkler Schatten, der vom Himmel fällt. Panik erfüllt mich. So muss sich eine Maus fühlen, über der plötzlich der große Umriss des Bussards auftaucht.
    Er wirft sich auf mich, drischt auf mich ein und drückt mich unter Wasser. Ich kann meinen Mund nicht früh genug schließen, kann den Atem nicht rechtzeitig anhalten. Das Wasser dringt in meine Lungen, und die Panik wächst zu Todesangst. Wir sind Kinder, aber auch Kinder können töten – und sterben!
    Als ich das begreife, werden neue Kräfte in mir frei, geboren aus der Angst und dem Willen, am Leben zu bleiben. Ich kann meinen Peiniger abschütteln und fliehe hinaus auf den See. Zum Glück bin ich ein sehr guter Schwimmer, ein viel besserer als er.
    Ohne mich umzusehen, durchpflüge ich das Wasser, das auf einmal seine Farbe verändert. Es ist rot wie Blut, und wieder umhüllt es mich. Aber diesmal habe ich genug Atem, um unter Wasser zu überleben.
    Vergebens versuche ich, mich zu orientieren, wo unten und wo oben ist. Nichts als rotes Nass. Dann sehe ich doch

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