Wenn der Golem erwacht
und liegen in unnatürlich verkrümmter Haltung am Boden. Andere hängen schiaffin den Stühlen oder sind über dem Tisch zusammengesunken.
An den Wänden des großen Raums stehen mehrere Aquarien. Einige wurden von den Projektilen getroffen. Wasser läuft aus dem zerschossenen Glas auf den Boden, Fische verenden zappelnd zwischen den menschlichen Leichen.
Der Schock und die in mir aufsteigende Übelkeit kämpfen mit dem Vorwurf, zu spät gekommen zu sein, um lächerliche zwei Minuten zu spät! Aber ich hatte nicht gewusst, was der andere vorhatte, der Mann, den ich bis in die Tiefgarage und von da aus bis hier oben in die INTEC-Zentrale verfolgt habe. Erst als ich auf den toten Wachmann gestoßen bin, stieg eine fürchterliche Ahnung in mir auf.
Eine trockene Explosion, nicht besonders laut, ähnlich dem Knallen eines Sektkorkens, lässt mich zusammenfahren. Die Empörung über das Blutbad tritt in den Hintergrund, ich muss an mich selbst denken. Der Killer hält sich noch irgendwo hier auf. Die Explosion schien aus diesem Stockwerk zu kommen, aus der weiträumigen Büroflucht, in der ich mich befinde.
Ich drehe mich um, froh, nicht länger auf die Toten starren zu müssen, deren Blut sich mit dem auslaufenden Wasser vermischt. In der Rechten die SIG-Sauer P228, durchgeladen und entsichert, gehe ich möglichst lautlos durch den Gang.
Aus in der getäfelten Decke eingelassenen Leuchten fällt dezentes Licht. Die Beleuchtung in der Büroflucht war bereits angeschaltet, als ich sie betrat. Vermutlich brennt das Licht schon seit Beginn der Konferenz. Es kann mir helfen, den Killer zu entdecken. Es kann aber auch dem Killer helfen, mich zu entdecken – und zu töten.
Ein leises Klappern lässt mich erstarren. Keine zehn Meter vor mir führt eine Abzweigung des Ganges nach rechts. Leise gehe ich weiter, schnell, aufmerksam, alle Sinne angespannt, die vierzehnschüssige Automatik im vielleicht etwas zu festen Griff. Der weiche Teppich verschluckt meine Schritte, aber auch die des Killers!
Plötzlich steht er vor mir, in der linken Hand einen Pilotenkoffer. Der Koffer und sein Straßenanzug lassen den hoch gewachsenen Mann aussehen wie einen Vertreter. Die kleine Maschinenpistole, eine Heckler & Koch MP5K, die an einem Schulterriemen an seiner rechten Seite hängt, will nicht ganz zu diesem Eindruck passen. Ich kann die Waffe gut – zu gut – erkennen, als der Mann zu mir herumwirbelt und die kompakte MP mit einer geschickten Bewegung, nur mit einer Hand, in Anschlag bringt.
Und ich sehe das Gesicht des Mannes, schmal und knochig, beherrscht von einer ausgeprägten Nase mit gekrümmter Spitze. Ein Gesicht, das mir gut bekannt ist. In seinen eisgrauen Augen steht der Entschluss zu töten …
Eine Frage hämmerte auf mich ein, wieder und wieder, und irgendwann verstand ich sie, als sich die undeutlichen Laute zu Silben und die Silben zu Wörtern formten: »Wie sah der Mann aus, dem Sie im INTEC-Tower begegnet sind? Erinnern Sie sich?«
Ambeus stand neben dem Bett und wiederholte die Frage im monotonen Rhythmus einer Kaufhaus-Lautsprecherdurchsage. Er bemerkte, dass ich ihn erkannte, und hielt einen Moment inne.
Ich begriff, dass ich im Schlaf gesprochen hatte. Die von Ira verabreichte Injektion hatte meine Zunge gelöst.
Ira stand neben Ambeus. Jetzt erst bemerkte ich den strammen Verband an ihrem rechten Handgelenk. Ich erinnerte mich an die Szene vor der Jagdhütte, als die halb nackte Frau zur Waffe greifen wollte und ich auf ihre Hand trat.
Ambeus verließ den Raum und kehrte kurz danach mit einem tellergroßen Spiegel zurück, den er vor mein Gesicht hielt. »War es dieser Mann, dem Sie in jener Nacht begegnet sind?«
Ich starrte auf mein Spiegelbild, auf das Gesicht des mehrfachen Mörders. War es das, was mich eben aus meinem Traum gerissen hatte? Wollte mein Unterbewusstsein sich gegen die Erkenntnis wehren, dass ich – mir selbst begegnet war?
»Robert Fuchs«, sagte ich leise. »Das Gesicht des Killers. Mein Gesicht.«
Mir weiterhin den Spiegel vorhaltend, sagte Ambeus: »Erzählen Sie weiter! Was geschah, nachdem Sie Robert Fuchs begegnet sind?«
Ira hatte sich mir von der Seite genähert, wieder mit einer Spritze. Als ich schlief, hatten sie ein paar zusätzliche Riemen um meine Arme geschnallt. Ich konnte nichts tun, um der glitzernden Nadel zu entgehen.
Dem kurzen Stich folgte ein entspannendes Gefühl, und bald nahm ich nichts mehr wahr außer der eintönigen Stimme des Arztes:
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