Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
hatte man ihm endlos eingeschärft, vorsichtig zu sein – in diesen Zeiten könnten sie nicht mehr so zügellos morden wie früher, als die Casus die Nacht beherrschten, furchterregend und mächtig wie die verfluchten Könige. Dennoch hatte er sich entschlossen, die Leiche von Kendra Wilcox ganz offen herumliegen zu lassen, um Ian Buchanans Verstand zu foltern.
Allein schon seine hilflose Wut über ihren Tod zu beobachten, war eine Freude gewesen.
Bis auf Weiteres würde er es genießen, Buchanan zu foltern, die Schrauben immer weiter anzuziehen, so lange es eben brauchte, bis der richtige Moment gekommen war. Und dazu würde er sich diese besonders leckere Blondine schnappen.
Außerdem musste er sich um diese ärgerliche Unterbrechung gestern Nacht kümmern. Was immer das war, er hatte es nicht erwartet, und er musste besser vorbereitet sein, bevor er den nächsten Schritt unternahm.
Zunächst einmal wollte Malcolm seine neu gefundene Freiheit genießen. Der Körper, den er sich ausgesucht hatte, war gar nicht so schlecht, auch wenn man das in ihm steckende Leben allenfalls als beschämend bezeichnen konnte. Jemand, der Casus-Blut in seinen Adern hatte, müsste doch etwas aus sich machen können, aber Joe Kellys Errungenschaften in dieser Welt waren genauso gewöhnlich wie sein Name.
Nicht dass Malcolm sich beschweren wollte. Er konnte immer noch sein Glück kaum fassen, als Erster ausgewählt worden zu sein, der zurückkehren durfte. Allerdings hatte er auch keine Ahnung, ob man das getan hatte, weil man sich seines Erfolges sicher war – oder weil Calder ihn für entbehrlich hielt, falls alles nicht gleich nach Plan funktionieren sollte. Aber das machte ihm in Wahrheit gar nichts aus. Was immer Calders Gründe gewesen sein mögen, er hätte sich diese Chance auf keinen Fall entgehen lassen. Im Meridian gab es kein Leben – und woher sollte das Vergnügen am Tod kommen, wenn es kein Leben ab? Aus diesem Grund waren die Casus so schwach geworden und hatten nutzlose Jahre damit verplempert, sich untereinander zu bekämpfen. Erst als sie endlich anfingen, auf Calder zu hören, waren sie in der Lage gewesen, sich wieder zusammenzuraufen und ein gemeinsames Ziel anzustreben. Dieses Ziel war vor allem ihre Freiheit, aber auch Rache.
Und ungemein süß würde dieses erste bisschen Rache sein.
Malcolm hob das Gesicht zur Sonne, genoss ihre Wärme und füllte seine Lunge mit dem satten Duft des Waldes; was für ein Unterschied zu der kalten, verrottenden Fäulnis im Meridian. Er ging weiter ins Zentrum der Kleinstadt und summte leise vor sich hin. An der nächsten Straßenecke kam eine ältere Frau mit angemessen ernstem Lächeln auf ihn zu. Sie trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Hilfe für Kendras Familie“ und hielt einen Spendenkorb in der gebrechlichen Hand.
„Wir sammeln Geld für die Beerdigungskosten von Kendra Wilcox. Ihre Mutter ist eine arme Witwe und verzweifelt auf freundliche Unterstützung angewiesen.“
„Da helfe ich doch gerne“, murmelte Malcolm, durchsuchte seine Taschen und zog ein paar gerollte Scheine heraus. Die Ironie des ganzen Szenarios entlockte ihm ein stummes Kichern. Schließlich hatte er genau dieses Geld Kendras blutiger Leiche abgenommen. Oder dem, was noch davon übrig war.
„Vielen Dank, Sir. Eine schreckliche Tragödie, was diesem armen Mädchen zugestoßen ist. Gott segne Sie.“
Malcolm warf einen Blick auf das Foto, das an dem Korb klebte, und schüttelte vor gespieltem Mitleid den Kopf. „Sie war ein sehr schönes Mädchen. Dieses Bild wird ihr gar nicht gerecht.“
Die Frau zog Anteil nehmend ihre grauen Brauen zusammen. „Kannten Sie Kendra?“
„Aber ja“, erwiderte er und überquerte die Straße. Als er über die Schulter blickte, konnte er kaum sein zufriedenes Lächeln verbergen. „Man könnte sagen, durch sie bin ich geworden, was ich heute bin.“
10. KAPITEL
Sonntag, 10.30 Uhr
Molly lehnte mit dem Rücken am Küchentisch, trank einen Schluck stärkenden Kaffee und hatte das Gefühl, sie könnte eine ganze Kanne austrinken und würde sich trotzdem noch erschöpft fühlen. An Schlaf war nicht zu denken gewesen, aber wenigstens hatte sich der Sturm bei Tagesanbruch verzogen. Endlich war sie doch noch für ein paar Stunden zur Ruhe gekommen, bevor Elaina wieder Kontakt mit ihr aufnahm. Danach war sie im hellen Licht der Morgensonne aufgewacht, das durch den grünen Vorhang vor dem einzigen Fenster drang, und nicht wieder eingeschlafen.
Als sie
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