Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
kommt, und lernen, damit umzugehen.“
Er kniff die Augen zusammen. „Und wenn ich es herauslasse – falls ich überhaupt dazu in der Lage bin –, woher sollen wir wissen, dass ich es dann unter Kontrolle halten kann? Was, wenn dieses Ding, dieser Merrick, hungrig sein sollte?“
Die Hitze stieg ihr aus der Brust hinauf in die Kehle, in die Wangen, und das konnte sie unmöglich vor ihm verbergen. „Ich glaube nicht, dass du noch einmal versuchen wirst, von meinem Blut zu trinken“, sagte sie heiser. „Außer, wir würden Sex haben wie in den Träumen.“
Nur ein Kerl konnte ein so arrogantes Schnauben zustande bringen, wie Ian jetzt. „Da bist du ganz sicher?“
„Nein, ich bin mir bei gar nichts mehr sicher. Aber wovor hast du denn so große Angst? In den Träumen hat es mich auch nicht umgebracht. Weshalb glaubst du, es würde mir in der Realität etwas anhaben können?“
Er rieb sich übers Gesicht, als könnte er die trostlose Miene wegwischen, die wie ein Schatten darauf gefallen war. „Du hast nicht gesehen, was mit Kendra passiert ist.“
„Aber du bist nicht wie der Casus“, widersprach sie und wünschte, er würde endlich begreifen. „Du bist einer von den Guten, Ian. Einer von denen, die retten, nicht zerstören.“
Sein Lächeln war bitter. „Glaub mir, Molly. Ich bin noch nie ein Held gewesen.“
„Dein Heiligenschein ist vielleicht ein bisschen angekratzt“, wisperte sie mit trockenem Lächeln. „Aber du bist nicht böse. Da würde ich mein Leben drauf verwetten.“
An seinem Gesichtsausdruck konnte sie sofort erkennen, dass sie etwas Falsches gesagt hatte.
Er starrte sie lange durchdringend an, dann sprang er so schnell auf die Füße, dass der Stuhl hintenüberkippte. „Herrgott, was ist nur mit dir? Wir sind uns gerade erst begegnet! Du kennst mich überhaupt nicht! Ich kenne mich selber kaum wieder!“
„Aber ich weiß, du bist jetzt hier, weil du wissen musstest, dass bei mir alles in Ordnung ist, obwohl du mich nicht mal leiden kannst“, stellte sie mit ruhiger, sachlicher Stimme klar.“
Ian ließ ein kehliges Knurren hören und fuhr sich wieder mit den Fingern durchs Haar. „Vielleicht wollte ich nach diesem Traum bloß noch mal in deine Hose.“
„So wie du vorhin ausgesehen hast, nehme ich dir das nicht ab“, murmelte sie, völlig unbeeindruckt von seinem Zorn.
„Und wenn ich dich doch verletze?“ Er verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust. „Was dann, Molly?“
„Das wirst du nicht.“
Er knirschte so heftig mit den Zähnen, dass seine Kiefermuskeln zuckten. „Das ist ein verdammt großes Risiko, dass du da für einen völlig Fremden eingehen willst. Ich frage mich bloß, wieso.“
Sie zögerte und sah einen Moment zur Seite, bevor sie sich zwingen konnte, seinem finsteren Blick standzuhalten. „Das Warum ist unwichtig. Wichtig ist nur, dass ich bleibe und diese Sache zu Ende bringe.“
„Obwohl der Casus dich ganz offensichtlich bedroht?“ Er musterte ihre entschlossene Miene. „Du bist doch diejenige, die in Gefahr ist, Molly. Und das ändert alles.“
Widerspenstig hob sie das Kinn. „Mir waren die Risiken bewusst, als ich herkam, Ian. Das ändert gar nichts.“
„Sollte es aber“, stieß er durch zusammengepresste Lippen hervor und blickte zu Boden, als ein weiterer Blitz die dünnen Wände des Motels erschütterte. Langsam schüttelte er den Kopf, als wüsste er nicht, was er von ihr halten sollte. „Meiner Ansicht nach hast du völlig den Verstand verloren, Molly, aber das ist jetzt auch egal. Selbst wenn du abhauen wolltest, würde ich dich nicht gehen lassen. Jetzt nicht mehr. Nicht nach dem, was heute Nacht passiert ist. Niemand kann wissen, wie weit dieser Casus gehen würde, um dich in seine Klauen zu kriegen. Bis das vorbei ist“, teilte er ihr wütend mit, „werde ich dich nicht mehr aus den Augen lassen.“
9. KAPITEL
Sonntagmorgen
Vollkommen sorglos spazierte Malcolm DeKreznick, der Casus, der in den Körper des blonden und blauäugigen Joe Kelly geschlüpft war, in Henning einen leeren Bürgersteig entlang. Er genoss die Wärme des Sommertages, eine neue Designer-Sonnenbrille schützte seine empfindlichen Augen vor dem hellen Sonnenlicht. Mit Tagesanbruch hatte sich der Sturm verzogen, in dieser rustikalen kleinen Berggemeinde war alles ruhig, aber schließlich was es Sonntagmorgen, die meisten Einheimischen waren in der Kirche. Beim Gedanken an all die ernstgemeinten Gebete und die fromme Andacht verzog sich
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