Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
Trotz der modernen äußeren Erscheinung war Ravenswing gemütlich, warm und einladend und sehr edel eingerichtet. Die Farbgebung war gleichzeitig gewagt und beruhigend, verführerisch für die Sinne.
Scott öffnete die nächste massive Flügeltür aus Pinienholz, in die ornamentale Muster gekerbt waren, und führte sie in eine ebenfalls sehr hohe Küche mit Fliesen aus Terrakotta, schwarz glänzender Ausstattung, Reihen von Schränken und Schubladen, die zur Tür passten, und Mengen von glänzenden Kupferkesseln, die an drei eisernen Topfhaltern hingen.
In der Mitte standen zwei lange Tische, aber Scott deutete auf einen kleineren, ovalen Tisch in einer Nische bei einem Fenster, durch das der glitzernde See zu erkennen war. „Ich mache den Kaffee“, sagte Quinn zu Scott. „Du fängst am besten schon mal an. Ich schätze, die beiden würden dir gern eine Menge Fragen stellen.“
Ian stöhnte innerlich, denn das war ja wohl die Untertreibung des Jahres. Er wollte gerade die erste Frage ausstoßen, als Molly sich auf einen der Holzstühle mit hohen Rückenlehnen sinken ließ und sofort loslegte: „Was können Sie uns über die Merrick erzählen?“
„Wie viel wissen Sie denn schon?“, fragte Scott, nahm gegenüber Platz. Ian setzte sich neben Molly.
Sie strich sich das Haar hinter die Ohren und räumte bedauernd ein: „Ich fürchte, eigentlich wissen wir kaum etwas.“
Scott lehnte sich zurück, rieb sich das Kinn und warf Ian einen verschlossenen Blick zu. „Ich nehme mal an, dass Ihre Mutter mit Ihnen über die Merrick gesprochen hat.“
Ian holte die Schachtel aus der Brusttasche, zog eine Zigarette heraus und steckte sie sich zwischen die Lippen; gleichzeitig stellte Scott einen Aschenbecher auf den Tisch. Ian zündete die Zigarette an und inhalierte tief, bevor er antwortete. „Sie redete davon, wir hätten irgendwelche Vorfahren, die es vor langer Zeit mal auf der Erde gegeben hat. Die wären irgendwie mehr als nur Menschen gewesen. Sehr mächtig. Und ursprünglich. Eine Art Zwischenstufe, die es einmal zwischen dem Menschen und … etwas anderem gegeben hat … etwas von Natur aus Finsterem und Brutalem.“
„Sie hatte völlig recht.“ So wie Scott die Zigarette anstarrte, war Ian klar, dass der Bursche auf Entzug war.
„Wo sind die denn hergekommen?“, fragte er und schnipste Asche in den Aschenbecher.
Scott holte tief Luft, als müsse er erst seine Gedanken sammeln. „Niemand weiß so ganz genau, wo sie herkamen oder wie sie entstanden sind. Aber man nimmt an, dass sie über ganz Europa verteilt waren und sich bei Bedarf ganz leicht unter die Menschen mischen konnten. Sie konnten sich auch mit Menschen paaren und sich so erheblich vermehren. Um die dunkleren Aspekte ihres Wesens zu befriedigen, tranken sie Blut, aber sie haben ihre Opfer nicht getötet. Stattdessen lebten sie in Frieden mit ihren menschlichen Brüdern, ernährten sich nur von anderen Merrick oder von gewissen Zigeunerstämmen, die von ihrer Existenz wussten. Die Zigeuner tauschten sozusagen ihr Blut gegen den Schutz ein, den die Merrick ihnen vor anderen Clans bieten konnten, die manchmal eine Bedrohung für sie darstellten.“
Molly warf Ian einen bedeutungsvollen Blick zu; sie dachte an den ersten Traum, den sie miteinander teilten, wo sie in diesem Zigeunerlager waren. Sie errötete, räusperte sich und sah wieder zu Scott. „Es gab also andere Clans?“
Scott nickte. „Die Merrick gehörten zwar zu den mächtigsten, aber sie waren nur ein Clan von vielen, deren diverse Fähigkeiten sich ebenso unterschieden wie ihre körperliche Erscheinung. Manche änderten ihre Gestalt nur wenig, wenn ihr ursprüngliches Wesen zum Vorschein kam, wie die Merrick. Andere konnten sich in Tiere verwandeln, zum Beispiel jene, aus denen wir Watchmen heute bestehen. Andere konnten sich bei Tageslicht nicht draußen bewegen und ernährten sich ausschließlich von Blut. Manche hatten telepathische Fähigkeiten, andere konnten unter Wasser leben oder sich in die Lüfte erheben. Die Mannigfaltigkeit war riesig. Zum größten Teil lebten diese Clans friedlich nebeneinander, verborgen unter den Menschen. Bis die Casus auftauchten, wohl irgendwann in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends.“
„Gehörten die Casus auch zu diesen uralten Clans?“ Molly nickte Quinn dankend zu, der eine Kaffeetasse vor ihr auf den Tisch stellte.
Scott nahm einen großen Schluck aus seiner eigenen Tasse, bevor er den Kopf schüttelte. „Zunächst
Weitere Kostenlose Bücher