Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
indianische Vorfahren haben, besonders wegen der hervorstechenden Wangenknochen. Er trug ein schlichtes weißes T-Shirt und blaue Jeans und hatte braune Wanderstiefel an den Füßen.
„Und was haben Sie in ihrem Zimmer verloren?“ Ian klang immer noch äußerst angespannt. Der Fremde steckte die Daumen in die Hosentaschen und lehnte sich an den Türrahmen.
„Nun entspannen Sie sich mal wieder. Ich bin nicht wegen der Frau da, so verführerisch sie auch ist. Ich bin wegen Ihnen gekommen, Merrick.“
Molly unterdrückte ein Stöhnen. Zum Glück hatte sie das Kreuz unterm T-Shirt verschwinden lassen, als sie aus dem Wagen gestiegen waren. Wer immer dieser Bursche sein mochte, irgendwas hatte er mit dem Albtraum zu tun, in dem sie steckten. Erst mal musste sie wissen, auf welcher Seite er stand.
„Mein Name ist Buchanan“, dröhnte Ian mit ungewöhnlich gutturaler Stimme, und Molly fragte sich einen Augenblick lang, ob der Merrick in ihm herausbrechen würde.
Der Fremde lachte amüsiert, als würde ihn diese Möglichkeit nicht im Geringsten beunruhigen. „Ah, aber Sie sind mehr Merrick als sonst irgendwas. Sogar mehr Merrick als Mensch. Also lassen wir doch die Spielchen sein.“
Ian verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was wollen Sie von mir?“
„Kierland Scott hat mich geschickt. Der Name sagt Ihnen was, nehme ich an.“
„Sie kennen diesen Scott?“ Ian klang genauso schockiert, wie Molly sich fühlte.
„Kierland und ich arbeiten zusammen. Er hat mich gebeten, Sie beide nach Ravenswing zu bringen.“
„Ravenswing?“, wiederholte Molly.
„Und was bringt Sie auf den Gedanken, wir würden mit Ihnen irgendwohin gehen?“, schnaubte Ian.
„Diese Narben an Ihrem Arm“, sagte der Mann beiläufig und zeigte mit seinen sonnengebräunten schmalen Fingern darauf. „Ich weiß, wer das angerichtet hat. Man nennt sie die Casus, Todfeinde der Merrick. Wenn Sie mitkommen, werden wir Ihnen beibringen, wie Sie überleben können.“
„Wir?“
„Uns nennt man die Watchmen.“
Ian gab einen höhnischen Ton von sich. „Die Watchmen, soso. Kling wie ‘ne Rockband aus den Achtzigern.“
Der Mann lächelte schmal. „Das sind wir ganz sicher nicht, obwohl Aiden bekannt dafür ist, auf dem Klavier ziemlich schlecht Mozart zu spielen. Wenn Sie wirklich so schlau sind, wie man uns glauben machen will, dann werden Sie schon noch begreifen, was Sie für ein Schwein haben, dass wir auf Ihrer Seite sind.“
„Ist das wahr?“
Langsam wurde der Fremde ungeduldig. „Was glauben Sie denn, wer letzte Nacht im Wald den Casus verjagt hat?“
„Das waren Sie?“, flüsterte Molly und stellte sich neben Ian, was ihr einen furchterregenden Blick von ihm eintrug. „Wenn Sie gekommen sind, um zu helfen, warum erst jetzt? Wieso nicht schon, bevor dieser Wahnsinnige ihn fast zerfleischt hat?“
„Molly“, fauchte Ian, dem ihre Formulierung offensichtlich nicht passte, aber sie ergriff einfach seine Hand, eine Geste, die ihn verblüfft schweigen ließ. Eine Sekunde blieb seine Hand starr in ihrer, aber dann schlossen sich seine langen, warmen Finger um ihre kleineren. Sie lächelte vor sich hin und fragte sich, ob er überhaupt schon mal mit einer Frau Händchen gehalten hatte. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Fremden, der sie aufmerksam beobachtete, nichts entging seinen dunklen Augen.
„Es ist nicht unsere Art, uns einzumischen“, erklärte er. „Unsere Bestimmung ist es, neutral zu bleiben, die nicht menschlichen Wesen im Auge zu behalten und dem Konsortium zu berichten, war wir herausfinden. Aber in diesem Fall, könnte man sagen, haben wir die Regeln gebrochen, weil es nicht länger ein gleicher Kampf war. Solange Sie noch nicht wissen, wie Sie sich schützen können, ist der Casus im Vorteil, und das ist letzte Nacht klar geworden. Dies sind seltsame, nie da gewesene Zeiten, und unsere Einheit hat beschlossen, dass Zugeständnisse gemacht werden müssen, ob das Konsortium nun seine Zustimmung erteilt oder nicht.“
„Das Konsortium?“, fragte Molly, die alles immer verwirrender fand.
„Das ist eine komplizierte Geschichte“, wehrte der Fremde ab. „Und ich bin sicher, die möchte Kierland Ihnen lieber selbst erzählen.“
„Wissen Sie“, meinte Ian neben ihr, „Leuten, die sich für neutral erklären, habe ich noch nie über den Weg getraut. Normalerweise heißt das bloß, sie haben zu viel Schiss, um sich für eine Seite zu entscheiden.“
„Ich versichere Ihnen,
Weitere Kostenlose Bücher