Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
vermittelt würden, und mit der besonders stichhaltigen Aussage, man werde noch früh genug merken, wozu das alles gut sei. Ich hege allerdings leise Zweifel, ob man sich als Zahnarzt oder Fleischfachverkäufer noch einmal dezidiert mit dem aerodynamischen Körperbau des europäischen Flughörnchens auseinandersetzen muss.
Als sich einmal in meiner Klasse einige Mitschüler über eine Hausaufgabe beschwerten (wir sollten die Kanzler der Bundesrepublik Deutschland auswendig lernen), gab ein Lehrer die beste Begründung für die Sinnhaftigkeit des Schulunterrichts meiner Schullaufbahn: «Das lernt ihr jetzt, damit ihr später bei ‹Wer wird Millionär?› die Auswahlfrage richtig beantworten könnt.» Endlich erschloss sich mir der tiefere Sinn meines schulischen Werdegangs: Die Schule bereitete mich darauf vor, bei «Wer wird Millionär?» die Auswahlfrage zu schaffen!
Nicht jeder Lehrer war so kreativ bei der Suche nach dem tieferen Sinn des Lernens: «Das müssen wir machen, weil das im Lehrplan steht.» Lehrer sagen solche Sätze stets mit einer Ehrfurcht in der Stimme, als hätten sie sich gerade nicht auf eine Leitlinie des Bildungsministeriums berufen, sondern auf das Grundgesetz, die UN -Charta und die Bibel gleichzeitig geschworen: «Bei meinem Leben und meinem roten Korrekturstift! Ich schwöre, dass ich kraft meines Amtes Schülern das beibringen werde, was man mir aufträgt, ihnen beizubringen. Meine ewige Treue bis zur Pensionierung gilt dem alles überragenden Lehrplan, in der ersten wie auch in der achten Stunde. Möge dieser stets gefüllt mit Lernstoff sein. Auf dass die Schüler darben bis zum letzten Schulgong! Dies gelobe ich feierlich. So wahr mir die Tafel helfe.»
Der Lehrplan ist allwissend. Einst, als Moses vom Berg Sinai mit den Zehn Geboten zurückkehrte, da verbarg er aus Furcht vor der lernunwilligen Masse das elfte Gebot: «Du sollst nicht vom Lehrplan abweichen!» Als Gott diese Verfehlung Moses’ bemerkte, schickte er den Menschen einen Qualitätsprüfer des Bildungsministeriums namens Jesus. Der ließ sich aber von allerlei Wunderheilungen und Wasserüberquerungen ohne Boot von seiner eigentlichen Mission ablenken. Der Lehrplan wurde dann erst viel später den Menschen übergeben, galt dann aber als eisernes Gesetz – zumindest für diejenigen, die hinter dem Lehrerpult standen.
Nicht die kleinste Abweichung wird geduldet, und sollte eine Klasse mit dem Stoff in Verzug geraten, dann wird mit dem Hinweis auf die restlichen Punkte des Lehrplans, die man noch alle abarbeiten müsse, Druck aufgebaut. Selbstverständlich liegt es immer an den Schülern, dass man dem Pensum hinterherhinkt. Niemals kann der Lehrer daran schuld sein. Das ist unmöglich!
So ist der Lehrer der einzige Mensch auf dieser Welt, der den Lehrplan anzweifeln darf. Dies tut er allerdings nur, um sich bei den Schülern beliebt zu machen, indem er zeigt, wie wenig Lust auch er auf das Zeug hat, das er vermitteln soll. Letztlich folgt der Lehrer aber dennoch dem Lehrplan, denn irgendein Sinn muss ja dahinterstecken, selbst wenn Schüler, Eltern und Lehrer ihn nicht so recht erkennen mögen. Flexibilität im System? Wo kämen wir denn dann hin?
Ohnehin würde das die meisten Lehrer vollkommen überfordern. Selbst wenn man herausfinden würde, dass in unseren Adern kein Blut, sondern Tomatensaft fließt, 1 + 1 nicht gleich 2 , sondern gleich 43 , 758 ist und der Mond aus Tiramisu besteht – nichts würde sich ändern. Da könnte der Kölner Dom durch ein Erdbeben zerstört und das Brandenburger Tor in ein McDonald’s Drive-in umgewandelt werden, wir müssten trotzdem noch lernen, wie hoch die beiden Gebäude jeweils sind. Solange es im Lehrplan steht, wird es auch gelehrt. Basta.
Manche, inzwischen reichlich überholte Dinge bleiben so Jahrhunderte lang Teil des Lehrplans. Nur so kann ich mir die immer noch vorhandene Präsenz des Fachs Latein erklären. Der letzte römische Bildungspolitiker hat einfach kurz vor seinem Tod vergessen, Latein darin durchzustreichen. Na, schönen Dank auch!
Den Horizont erweitern
Schrieben wir eine Klassenarbeit, so dauerte dies je nach Altersstufe zwischen einer und fünf Stunden. Eine lange Zeit, wenn man sich durch die Aufgaben quält, eine viel zu kurze Zeit, wenn man die Arbeit abgeben muss und erst kurz vorher bemerkt, dass das Aufgabenblatt ja auch noch eine Rückseite hat. (Der Autor denkt hierbei schmerzhaft an eine Matheklausur zurück, die er bis fünf Minuten
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