Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
Lehrerzimmer war, und ließ ihn die Botschaft ausrichten. Erfahrene Schüler machten dies in einem gespielt lockeren Tonfall und verbargen die eigene Unsicherheit angesichts des sich in der Nähe befindlichen Lehrerzimmers.
Lehrer spüren es, wenn ein Schüler Schwäche zeigt. Und wenn es nur ein falsches Wort ist, das der Schüler verwendet. Anfänger begehen zum Beispiel häufig den Fehler und fragen einen Lehrer, ob er mal die Frau Soundso heraus«schicken» könnte. Ist der Lehrer gut gelaunt, übergeht er diesen Fauxpas. Ist er aber gereizt, muss man durchaus mit einem unwirschen: «Ich ‹schicke› schon mal gar keinen!» rechnen. «Ich kann die Frau Soundso heraus
bitten
! Wir sind nicht eure Laufburschen!» Zurück bleibt ein eingeschüchterter Schüler.
Manchmal stand ich die gesamte Pause bangend vor der Tür und wartete, dass der Lehrer, nach dem ich gefragt hatte, endlich herauskommen würde. Bis ich feststellte: Der mit der Suche beauftragte Lehrer hatte seinen Auftrag schlichtweg vergessen. Vielleicht waren aber auch beide Lehrer durch das Tor zur Unterwelt, das sich im Lehrerzimmer mit Sicherheit auftat, verschwunden.
Im Zweifelsfall drückte man das Blatt, das man dem gesuchten Lehrer noch geben wollte, irgendeinem anderen Lehrer in die Hand und fragte: «Können Sie das bitte dem Herrn XY ins Fach legen?» Die meisten Lehrer taten dies erstaunlich bereitwillig. Was immer dieses mysteriöse Fach war, es konnte kein großer Aufwand sein, dorthin zu gelangen. Denn sonst hätte nie auch nur ein Lehrer diesen Auftrag angenommen. Außerdem müssen diese Fächer der Lehrer unglaublich groß gewesen sein, denn wir ließen ständig Dinge ins Fach legen. Oft ganze Stapel von Heftern, die der Lehrer am Vortag hatte einsammeln wollen, die aber natürlich keiner dabeigehabt hatte und die dann mit der Frist des Folgetages doch bitte ins Fach gelegt werden sollten. Gerade in praktischen Fächern wie Kunst wurden schon mal ganze Skulpturen in diese ominösen Fächer befördert. Wahrscheinlich handelte es sich um verzauberte Schubladen, die unendlich groß waren. War es wie bei Harry Potter, und unsere Lehrer waren alles Zauberer oder sogar Todesser und wir Schüler Muggel, also keine Zauberer, und wussten davon nichts? War das Lehrerzimmer womöglich die Kammer des Schreckens? Trug unser Schulleiter nicht auch eine Halbmondbrille, einen langen weißen Bart und einen weiten Umhang?
Das Lehrerzimmer war, ist und bleibt für jeden Schüler ein Mysterium. Sollte jemals jemand das Geheimnis dieses Ortes lüften, möge er sich bitte an mich wenden.
Heul doch!
Was macht ein Lehrer, wenn Schüler sich danebenbenehmen und er kein anderes Mittel mehr sieht, um Ordnung herzustellen? Richtig. Er trägt die Schüler in das Klassenbuch ein. Das Klassenbuch, die schwarze Liste des Schulapparates. Über dieses Medium kommunizieren Lehrer untereinander die Verfehlungen der Schüler. Und das gnadenlos.
Manche Einträge sind dabei durchaus verständlich, wie zum Beispiel «Justin schlägt wiederholt seine Mitschülerinnen mit einem Lineal auf den Hinterkopf», «Justin hat die Hausaufgaben seines Sitznachbarn angezündet» oder «Justin entkleidet sich während des Unterrichts bis auf die Unterhose. Nach Ermahnungen durch die Lehrkraft, sich wieder anzuziehen, pinkelt er in die Yuccapalme».
Justin ist übrigens nach weiteren Vergehen (Drogenkonsum auf der Schultoilette, sexuelle Belästigung von Fünftklässlerinnen und Diebstahl von Schuleigentum) von der Schule verwiesen worden. Er strebt nun eine steile Karriere als Anführer einer Straßengang an, die momentan nur dadurch aufgehalten wird, dass er wohl noch einige Zeit im Knast sitzen wird, weil selbst bei Anwendung des Jugendstrafrechts noch eine Haftstrafe herausgekommen ist. Dazu kommen eine negative Sozialprognose und sein fehlendes Schuldgefühl. Justin ist ein Beispiel für das Versagen der Gesellschaft, der Eltern und der Schule, einen jungen Menschen auf die richtige Bahn zu leiten. Vielleicht ist er aber auch einfach nur ein riesengroßes Arschloch. Für Justin war der Klassenbucheintrag «Justin: zwanzigmal ohne Hausaufgaben» ein Kompliment.
Andere Klassenbucheinträge waren dann doch eher lächerlich. Neben den Standardformulierungen über fehlende Hausaufgaben und Mitarbeitsverweigerung fanden auch einige Kommentare ihren Weg in das Buch der Bücher, wegen denen sich die Lehrer im Nachhinein wahrscheinlich auch vor ihren Kollegen geschämt haben.
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