Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
Schuss war zu hören. Hector stürzte zu Boden. »Vater!«, schrie Maria.
Jake sah seine Chance gekommen, auch Caitlyn rannte los, direkt auf Carrera und Maria zu.
Während sie über den felsigen Boden stürmte, wurde ihr mit einem Mal bewusst, dass sie keine Angst um ihr eigenes Leben verspürte. All ihre Sorge galt Jake. Carrera zielte inzwischen auf ihn, ein weiterer Schuss zerriss die Luft. Jake warf sich flach hin.
Die Welt um Caitlyn herum verlangsamte sich auf bizarre Weise – wie eine Zeitlupe, in der das Bild abwechselnd vor und zurück sprang. Sie riss den Kopf gerade lang genug herum, um sich zu vergewissern, dass Jake nicht getroffen war. Nichts sonst war wirklich von Bedeutung.
Die schreckliche Angst kam ihr wieder in den Sinn, die sie ausgestanden hatte, als er in den Fluss eingetaucht war und augenblicklich unter den Berg gezogen wurde, außerhalb ihrer Sichtweite. Und sie erkannt hatte, dass alles, wofür sie so hart gekämpft hatte, bedeutungslos war.
Sie hatte einzig für ihre Karriere gelebt und sich vorgemacht, ansonsten nichts weiter als ihre Ruhe zu wollen. Nachdem sie am Verlust ihres Vaters beinahe zerbrochen wäre, hatte sie ihr Herz jahrzehntelang hinter hohen Mauern verschanzt. Immer höher hatte sie diese Mauern errichtet, um einen derartigen Verlust, einen so furchtbaren Schmerz niemals wieder erleben zu müssen. Wie dumm von ihr. Jake hatte einen Tunnel unter diesen Mauern hindurch gegraben. Vor langer Zeit schon, wie ihr rückblickend klar wurde, und das ausgerechnet jetzt, während sie auf einen bewaffneten Geisteskranken mit einer Geisel zustürmte.
Es gab kein Zurück mehr. Ihn wieder zu verlieren, könnte sie nicht ertragen. Besonders jetzt nicht, da sie erkannt hatte, was doch längst offensichtlich gewesen war.
Sie kam bei Maria an und zog sie mit sich, vom Abgrund weg. Jake war ebenfalls wieder hochgekommen und stürzte sich auf Carrera, dabei gelang es ihm im Handgemenge, die Waffe von Caitlyn abzuwenden.
Carrera verlor das Gleichgewicht. Er ruderte mit den Armen in der Luft. Und bekam Caitlyns Arm zu fassen.
Vier Hände packten sie von hinten und hielten dagegen: Maria und Cho. Caitlyn fiel rücklings auf die beiden drauf, sah aber noch aus dem Augenwinkel, wie Carreras Hand sich um Jakes Fußgelenk schloss.
Und dann sah sie nichts mehr außer dem Ausdruck des Entsetzens auf Jakes Gesicht. Er schwankte nach rechts und links, versuchte noch, Carrera abzuschütteln und sich wieder zu fangen.
Beide Männer stürzten in den Abgrund und verschwanden in der Tiefe.
»Jake!« Caitlyn stürzte zur Felskante.
Carreras Körper wirbelte durch die Luft. Als er ins seichte Wasser fiel, schrie er entsetzt auf, weil bei seinem Aufprall Knochen umherwirbelten, als seien seine Opfer wieder lebendig geworden und würden ihn willkommen heißen. Dann wurde es still. Er rührte sich nicht mehr.
»Jake«, rief Caitlyn noch einmal und reckte den Hals, um über den Rand zu spähen.
Jake baumelte etwa drei Meter unter ihr an einer der Schlingpflanzen. Er befand sich allerdings außerhalb ihrer Reichweite, und auch zu weit entfernt von allen Felsvorsprüngen.
Sie rappelte sich auf, während er versuchte, Schwung zu holen und den Rand über sich zu erreichen. Caitlyn rannte zu der Steintreppe, die nach unten führte, und raste die Stufen hinab. Über sich hörte sie, wie Maria ihrem Vater zu Hilfe eilte und dass Cho ihr Anweisungen zurief, wie sie die Blutung stillen konnte.
Am Boden des Beckens trieb Carreras Leiche mit allen vieren von sich gestreckt auf der Wasseroberfläche, wie in einer letzten Umarmung mit den unter ihm aufgetürmten Gerippen vereint.
Er war einen grauenvollen Tod gestorben, genau wie Cho es vorausgesagt hatte. Caitlyn hatte den Doktor zu wenig gekannt, um irgendetwas anderes als Wut darüber zu verspüren, dass er so viele Menschenleben ausgelöscht hatte. Um nichts in der Welt würde sie zulassen, dass Jake sein letztes Opfer wurde.
Jake schwang wie ein Pendel hin und her, kam jedoch nicht hoch und nicht weit genug, um sich in Sicherheit zu bringen. Er spannte den Körper an, wie um sich für einen Sprung bereit zu machen.
»Nein, Jake! Warte!«
Sie rannte zum Felsvorsprung und streckte beide Arme nach ihm aus. Er schwang auf sie zu, sah ihr in die Augen, und dann … hörte sie ein Krachen so laut wie ein Schuss, als die Ranke, an der er hing, durchriss.
Sie presste sich die zur Faust geballten Finger vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien, während sie
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