Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
seinen Sturz verfolgte. Er knallte auf die Knochen am Grund des Kraters, Schlamm und Wasser schwappten über ihn. Dann versank er in dem dunklen Schlick, und sie konnte ihn nicht mehr sehen.
»Jake!« Caitlyn rutschte schliddernd den steilen Abhang hinunter und hielt sich dabei an den Schlingpflanzen fest, um ihren halsbrecherischen Lauf abzubremsen. Sein Sturz war nicht so schlimm gewesen wie der von Carrera. Falls er jedoch auf einen der aufragenden Felsen aufgeschlagen war oder das Wasser zu seicht war oder … Mit aller Macht schob sie die Schreckensbilder beiseite. Am Rand des kleinen Sees bremste sie ab, watete an den mumifizierten Überresten von Carreras Opfern vorbei bis zu Jake und zog seinen Oberkörper aus dem Wasser. Er spuckte und hustete.
»Du hast mich angeschossen! Wieso hast du auf mich geschossen?« Er keuchte vor Schmerz auf, während sie ihn stabilisierte und vollständig aus dem Wasser zog. Sie tastete seinen Brustkorb ab, die Arme, dann die Beine.
Aus dem Oberschenkel ragte ein scharfer Knochensplitter, der einmal zu einem Rippenbogen gehört hatte. So, wie er dalag, konnte er sein Bein nicht sehen, hielt jedoch den Oberschenkel fest umklammert.
»Jake, dich hat kein Schuss getroffen«, sagte Caitlyn. Da war ein wenig Blut, aber bei dem Dreck, in dem sie saßen, hielt sie es für besser, den Knochensplitter nicht herauszuziehen, bis sie irgendwo an einem hygienischeren Ort waren, an dem sie die Wunde ordentlich verbinden konnte.
»Nicht? Aber es fühlt sich so an.«
»Du bist nicht angeschossen worden. Aber …« Sie verlagerte das Gewicht, sodass er an ihr vorbei auf sein Bein schauen konnte.
»Oh, Mist.« Er wurde ganz blass, als er sah, was die Schmerzen verursachte. Und wandte sich zu ihr um. »Du weißt schon, dass ich eigentlich Buch- und Rechnungsprüfer bin, ja? Zahlen und ein Auge für Details sind meine Stärke.«
Hatte er sich etwa den Kopf gestoßen? Selbstverständlich wusste sie das. »Ja, und?«
»Also wirst du nicht auf mich herabschauen, weil mir beim Anblick von Blut etwas mulmig wird? Besonders, wenn es sich um mein eigenes Blut handelt?«
Caitlyns Sorge wich einem herzhaften Lachen, und sie umarmte ihn stürmisch. Er zuckte kurz zusammen, sah ihr dann fest in die Augen und fragte: »Sag mal, hast du mich gerade Jake genannt?«
Bevor sie ihm antworten konnte, packte er sie an den Schultern, zog sie an sich und küsste sie zärtlich. Trotz der Leichenteile, dem Gestank verrotteter Pflanzen und der Tatsache, dass sie beide seit Tagen weder geduscht noch Zähne geputzt hatten, war es der herrlichste Kuss, den sie jemals erlebt hatte.
Wie ein Wirbelsturm brandeten Erinnerungen in ihr auf. Die Freude, als sie die Tür zum Büro des Sheriffs in Blue Ball geöffnet und Jake dort vorgefunden hatte. Wie sehr er ihr fehlte, wenn sie getrennt waren. Die lustigen Laute, die er von sich gab, wenn sie sich liebten. Seine Tränen, die er nie vor ihr verbarg, wenn er zum Höhepunkt kam. Dass er sie nie bedrängte, erdrückte oder ihr das Gefühl gab, eingesperrt zu sein. Und wenn er ihr eine Tür aufhielt, nicht nur aus Höflichkeit, sondern weil er sie als Kollegin respektierte, der er zutraute, voranzugehen und die Führung zu übernehmen.
In Quantico, beim Training der Agenten, zählte immer nur der erste Mann, der in einen Raum stürmte. Jake war zwar keineswegs ihr erster Mann, aber sie wünschte sich, er würde der letzte sein. Sie wollte ihn für immer an ihrer Seite wissen.
»Ja«, sagte sie, als sie sich lösten, um Atem zu schöpfen. »Ich habe dich Jake genannt.«
»Gefällt mir. Und wie.« Er küsste sie wieder. »Hör niemals damit auf.«
40
Wie sich herausstellte, erschwerte es die Ausreise ungemein, wenn man ohne entsprechendes Visum eingereist war, im Land selbst bei der Aufdeckung eines Massenmordes mitgewirkt hatte und dann auch noch Zeuge eines Mordes geworden war. Caitlyn machten die zwei Tage Verzögerung jedoch nicht viel aus. So konnte Jake sich ärztlich behandeln lassen – wenngleich sein Stolz schlimmer gelitten hatte als sein
Bein – und sie sich in Ruhe darum kümmern, dass Itzel und ihre Leute aus der Grotte befreit wurden.
Als sie Maria und Itzel nebeneinander sah, wurde ihr erst bewusst, dass Itzel ungefähr im selben Alter wie ihre Tochter gewesen sein musste, als sie damals aus dem U4-Gefängnis geflohen, von Lutheranern aufgenommen worden und schließlich zurückgekehrt war, um ihr Heimatdorf zu retten. Manche Menschen wuchsen über sich
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