Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
Dezimalstelle versetzt, einfach so, nur aus Jux und Tollerei.«
»Ha. Erwischt. Als ob du jemals auch nur eine einzige Kommastelle versetzen würdest.«
»Also gut, du hast mich. Na ja, bei uns im Wohnheim war es streng verboten, dass Mädchen in den Zimmern übernachten. Mit Rücksicht auf die religiösen Studenten, oder so. Also haben wir die Türen der anderen Jungs verplombt, wenn sie Besuch hatten. So waren sie mit den Mädchen eingeschlossen, die sie nachts hineingeschmuggelt hatten.«
»Verplombt?«
»Ja. Auch bei geschlossener Tür blieb da immer ein Spalt. Den konnte man mit Kleingeld füllen, dann war die Tür von innen nicht mehr aufzukriegen – wenn man es richtig anstellte, ließ sie sich von außen auch nicht mehr öffnen, jedenfalls nicht ohne Schraubenzieher oder etwas Ähnlichem, mit dem man die Münzen rauskratzen konnte.«
»Mitstudenten in ihren Zimmern einzusperren war eure Vorstellung von Spaß?«
»Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, kommt es mir auch ziemlich lahm vor. Wahrscheinlich war es damals lustiger, weil wir dabei betrunken waren.«
»Und offensichtlich keine eigenen Verabredungen hattet.«
»Nur weiter so, streu ruhig Salz in die Wunde. Was soll ich sagen? Ich war eben ein Spätzünder.«
Sie musste gähnen. »Ich muss noch ein wenig arbeiten, ehe ich mich hinhaue.«
»Ruh dich aus«, sagte er. »Und ruf mich an, wenn du irgendetwas brauchst.«
»Danke, Carver. Schlaf gut.« Sie legte auf. Und fühlte sich mit einem Mal furchtbar allein in dem leeren Zimmer. Sie hatte so lange und hart dafür gekämpft, beim FBI aufzusteigen, aber was brachte ihr das, wenn ihr Leben nur daraus bestand, von ihrer leeren Wohnung in leere Hotelzimmer und wieder zurück zu reisen?
Sie schob den Gedanken beiseite und klappte ihren Laptop auf. Sie kam prima zurecht. Und zu tun hatte sie auch mehr als genug. Sie konnte wirklich nichts gebrauchen, was das alles durcheinanderbringen würde.
Und Carver brauchte sie schon gar nicht. Dennoch wünschte sie sich, er wäre da, um sie in den Arm zu nehmen, als sie eine Stunde später endlich unter die Laken kroch.
Jake legte auf und fühlte sich nach der Lethargie der letzten Wochen wie beflügelt. Er schnappte sich seinen Laptop und machte sich daran, die Finanzen der Alvarados und von BioRegen unter die Lupe zu nehmen. Obwohl es sich um eine privat geführte Firma handelte, gab es doch einige öffentlich einsehbare Unterlagen, von den ganzen Informationen über die biomedizinischen Produkte mal ganz abgesehen.
Wie sich herausstellte, war BioRegen darauf spezialisiert, menschliches Gewebe zu beschaffen und auch eigene Zellkulturen herzustellen. Die Firma hatte vor knapp zwanzig Jahren als eines der wenigen biomedizinischen Labore begonnen, aus dem sich Wissenschaftler legal Stammzellen zu Forschungszwecken besorgen konnten. Für Privatpersonen wurden auch Stammzellen gelagert, die aus Nabelschnurblut gewonnen worden waren – von Eltern, die für die Gesundheit ihrer Kinder vorsorgen wollten. BioRegen belieferte heute medizinische Einrichtungen und Labore auf der ganzen Welt mit Gewebematerial, und das nicht nur für Forschungszwecke – die Firma war auch in den ständig wachsenden Markt von plastischer Chirurgie und Orthopädie eingestiegen.
Ausgehend davon, wie rasch die Firma gewachsen und wie steil ihre Bewertung in die Höhe geschossen war, musste menschliches Gewebematerial wohl eine heiß begehrte Ware sein. BioRegen hatte eine Flotte von Jets und Transportflugzeugen geleast, damit die Stammzellen oder das Knochenmark überallhin geliefert werden konnten. Außerdem arbeiteten sie hier im Land mit Beerdigungsinstituten zusammen, die den Verstorbenen ermöglichten, Stammzellen zu spenden und trotzdem im offenem Sarg bestattet werden zu können.
Wie ehrenwert. Nur leider war den Angehörigen in den meisten Fällen gar nicht klar, dass diese Spende am Ende meist als Füllmaterial für Brustvergrößerungen oder für andere Eingriffe in der plastischen Chirurgie verwendet wurde. Da es in Amerika verboten war, Bestandteile des menschlichen Körpers zu verkaufen, mussten all diese Spenden auf freiwilliger Basis stattfinden. Das führte zu hohen Profiten bei jedem einzelnen Leichnam, der dem firmeneigenen »Team für die Beschaffung von Zell- und Gewebematerial« anvertraut wurde.
Ein einträgliches Geschäftsmodell, aber Jake missfiel die ethische Grauzone, in der BioRegen sich bewegte. Während seiner Zeit als verdeckter Ermittler bei den
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