Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
den Stromschnellen und inmitten der plötzlich aus dem Nichts auftauchenden Felsbrocken über Wasser zu halten war nicht so einfach, wie es in den Filmen immer aussah. Maria hatte einmal Tubing ausprobiert, als sie Freunde in Gainesville besuchte – verglichen mit dem Fluss hier, war die Wildwasserfahrt im Gummireifen auf dem Ichetucknee jedoch ein Kinderspiel gewesen.
Nachdem sie zum dritten Mal in den Sog geriet und unter Wasser gedrückt worden war, wurde ihr klar, dass sie aus dem Fluss raus- und ihr Glück weiter zu Fuß versuchen musste, selbst wenn das länger dauern sollte. Sie versuchte, zurück ans Ufer zu gelangen, aber die Strömung hatte sie fest im Griff. Dann hörte sie plötzlich das Geräusch, vor dem sie sich die ganze Zeit schon gefürchtet hatte: das Rauschen eines Wasserfalls.
Die Sonne war kaum mehr als ein roter Streifen am Horizont, der die Schlucht, die der Fluss in den Felsen gegraben hatte, in tiefe Schatten tauchte. Die Strömung warf Maria gegen einen Felsbrocken, beinahe wäre sie unter ihn gezogen worden und hätte in der Falle gesessen, doch gelang es ihr gerade noch, Kopf und beide Hände über Wasser zu halten. Sie klammerte sich fest und schob sich Stück für Stück an dem großen Stein vorbei, weiter auf die flacheren Strudel neben dem Flussufer zu. Die Gewalt des Wassers zwang sie, zum südlichen Ufer auszuweichen, wo die Felswand steil nach oben aufragte und große Gesteinsbrocken von oben in den Fluss gestürzt waren.
Mit letzter Kraft kämpfte sie sich weiter und wurde immer wieder gegen die Felsen geschleudert. Am Ende fiel sie erschöpft mit dem Gesicht in den Schlamm. Sie zitterte unkontrolliert am ganzen Körper. Als sie sich umdrehte, waren bereits die ersten Sterne am Himmel zu sehen. Durchnässt und durchgefroren wie sie war, würde sie keine weitere Nacht unter freiem Himmel überstehen. Und der Professor und sein Team waren noch immer in tödlicher Gefahr.
Hustend spuckte sie das Wasser aus, das sie geschluckt hatte, kämpfte sich hoch und schleppte sich weiter. Das Rauschen des Wasserfalls wurde immer lauter, die Gesteinsbrocken, über die sie klettern oder die sie umrunden musste, immer größer, bis sie auf einen letzten Felsen kletterte und sah, dass sie nicht mehr weiterkam.
Die Wassermassen stürzten als wild schäumende weiße Gischt den Fels hinunter. Auf Marias Seite des Flusses lag eine von wenigen kümmerlichen Bäumen bewachsene Steilwand, die scharf wie ein Messer in den Himmel aufragte. Ein Aufstieg wäre unmöglich. Ihr fehlte aber auch die Kraft, den Fluss zu durchqueren. Auf der anderen Seite säumten Bäume den abfallenden Berghang bis hin zu einem weiter unten liegenden See. Maria kroch bis zum äußersten Rand des Felsvorsprungs und warf einen Blick nach unten. Der Wasserfall war etwa sieben Meter hoch und ergoss sich in einen See, an dessen fernem Ufer sie Lichter ausmachen konnte. Keine Sterne, sondern elektrisches Licht.
Die Klinik. Sie hatte es geschafft. Fast.
Im Dunkeln war es unmöglich abzuschätzen, ob das Wasser dort unten tief genug war oder ob Felsbrocken auf sie warteten. Vielleicht auch Alligatoren – gab es überhaupt Alligatoren in Guatemala? Maria konnte sich nicht daran erinnern, etwas darüber gelesen zu haben.
Sie spähte in die Finsternis. Das Wasser donnerte laut wie ein Güterzug neben ihr vorbei. Die Felswand unter dem Wasserfall war glatt geschliffen. Selbst wenn es hell genug wäre, würde sie es wohl nicht schaffen, dort hinabzuklettern.
Maria stand auf und tastete sich vorsichtig mit den Zehen bis zur Felskante vor. Als Kind hatte sie nie Angst vor Höhen gehabt. Mit Vorliebe war sie auf den höchsten Sprungturm geklettert, hatte ihrem Vater zugerufen, er solle herschauen, bevor sie in die Luft sprang, furchtlos gegenüber dem Sturz in das Becken tief unter ihr. Das hier war genau dasselbe.
Zumindest redete sie sich das ein, während sie wieder zurückwich, um Anlauf zu nehmen. Am besten wäre es, wenn sie über die Felsbrocken und Stromschnellen hinweg so weit wie möglich in den See hineinsprang. Bei der Höhe könnte das klappen.
Wenn der See tief genug war und es weder Felsbrocken, Bäume oder Alligatoren gab, die sich im Wasser verbargen.
Sie atmete hechelnd ein und aus, um so viel Luft wie möglich in die Lunge zu pumpen. Wieder hatte sie Prescotts blutverschmiertes Gesicht vor Augen, die tödlichen Schüsse übertönten das wilde Rauschen des Wasserfalls. Sie rannte los. Dann sprang sie mitten im
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