Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
Reapers hatte Jake ganz vergessen, wie gnadenlos unternehmerfreundlich Amerika sein konnte. In der Rockerbande hatte es zumindest ein gewisses Ehrgefühl und einen starken Zusammenhalt gegeben.
Je länger er sich mit BioRegens Geschäftsidee beschäftigte und sich zusammenreimte, was nicht in den öffentlich zugänglichen Dokumenten stand, desto mehr schwante ihm, dass er es auch hier wieder mit einer Bande zu tun hatte, nur von anderer Art: Für den schnellen Profit wurden systematisch trauernde Familien ausgenommen.
Gedankenverloren fuhr er den Computer runter. Als er noch bei der Bundessteuerbehörde gearbeitet hatte, war ihm nie ein Fall nahegegangen. Und jetzt saß er hier, drauf und dran, den Eltern eines vermissten Mädchens Betrug und fragwürdiges Geschäftsgebaren vorzuwerfen.
Das musste wohl Caitlyns Einfluss sein. Grauzonen ließ ihr Gerechtigkeitsempfinden nicht zu – nicht einmal, wenn es um ihre eigene Mutter ging.
Soweit er das beurteilen konnte, hatte BioRegen kein Gesetz gebrochen. Wenn es sich um eine Aktiengesellschaft gehandelt hätte, hätten die Geschäftsführer viel Beifall für die stetige Gewinnsteigerung und dementsprechende Ausschüttungen geerntet. Doch wie sehr er sich auch um Objektivität bemühte, es blieb ein übler Beigeschmack zurück. Irgendetwas an dieser großen Gewinnspanne war seltsam.
Jedenfalls sagte ihm das sein Bauchgefühl. Er kicherte vor sich hin und war froh, dass Caitlyn ihn jetzt nicht so sehen konnte. Ernsthafte Ermittlungen eines Sachverständigen für Wirtschaftskriminalität sahen eigentlich anders aus.
Jack langte nach seinem Handy. Lynn ging nie vor Mitternacht ins Bett. Er benötigte eine zweite Meinung. Eine nüchterne, unvoreingenommene zweite Meinung, die von keinerlei Gefühl getrübt war.
Wer wäre da also besser geeignet als seine kalte, nüchterne und emotionslose Exfrau?
12
Caitlyn wachte um sechs Uhr früh auf, duschte kurz und packte ihre Sachen. Nach diversen Katastrophen während der ersten Reisen im neuen Job hatte sie eine Packstrategie entwickelt. Ein entscheidendes Utensil waren dabei große, wiederverschließbare Gefrierbeutel, die sie schon zu Campingzeiten geliebt hatte. Außerdem packte sie nur noch Kleidung ein, die überall einsetzbar war, sich im Hotelzimmer waschen ließ und rasch trocknete. Eigentlich war es wieder wie damals, als Caitlyn den Sommer über als Flussführerin gearbeitet hatte, denn schon damals war sie immer auf der Suche nach praktischer und bequemer Allzweckkleidung gewesen.
Da sie Maria in den Dschungel folgen oder sich zumindest abseits ausgetretener Pfade bewegen würde, tauschte sie die Stiefeletten von gestern gegen ihre Wanderschuhe aus. Außerdem zog sie sich eine Khakihose, ein dunkelblaues Armee-T-Shirt und ihre Lieblingsreisejacke über, einen wind- und wasserabweisenden Parka mit jeder Menge Innentaschen. Ebenfalls aus dem Campingladen.
Sie ging nach unten in die Lobby, checkte aus und setzte sich während des Frühstücks vor den Laptop. Das Schlimmste am Reisen war, dass sie nicht trainieren konnte. Jetzt, nach fünf Tagen, schrie ihr Körper danach, ausgiebig zu laufen und sich zu dehnen. Der Pilot der Alvarados hatte allerdings gesagt, er hoffe darauf, bis acht Uhr eine Starterlaubnis zu erhalten, und dass er Marias Eltern sowie Caitlyn um halb acht abholen würde, also musste das noch einen Tag warten.
Während sie die dringendsten E-Mails beantwortete, trudelte piepsend eine Textnachricht auf ihrem Handy ein. Sie war von Vicky, der einzigen Freundin von Maria, die dem Abenteuer von Anfang an skeptisch gegenübergestanden
hatte.
Caitlyn winkte der Serviererin zu, damit sie ihr die Rechnung brachte, und wählte Vickys Nummer. »Caitlyn Tierney, hallo.«
»Oh, ich hätte nicht gedacht, dass Sie so schnell zurückrufen«, stammelte Vicky.
»Ich muss auch gleich los. Hast du von Maria gehört?«
»Nein. Aber ich glaube, ich weiß, wo sich das Ausgrabungsgebiet des Professors befindet. Dieser Tempel, den Maria gefunden hat. Ich dachte, das könnte vielleicht weiterhelfen.«
»Absolut. Kannst du mir die Informationen zumailen? Wie hast du das herausgefunden, wenn Maria sich nicht bei euch gemeldet hat?«
»Ich bin die Einzige von uns, die einen Laptop mitgenommen hat, und an dem hat Maria gearbeitet, bevor sie sich von uns getrennt hat. Die Chronik war noch da, also habe ich sie mir angesehen und bin dabei auf eine Google-Earth-Suche von ihr gestoßen, bei der sie die GPS -Koordinaten
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