Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
die Fähre nach Santo Tomás sein? Da muss es sich um einen Irrtum handeln.«
»Kein Irrtum.« Er nahm ihr Geld und fuhr weg.
Die Sitze in der Mitte waren bereits alle besetzt, und es kamen immer mehr Menschen. Caitlyn schaute aufs Meer hinaus. Die Überfahrt sollte eine Stunde dauern.
Sie schwang sich ihre Tasche über die Schulter und ging auf das Boot zu. Der Junge, der am Anlegesteg stand, bestätigte ihr nickend, dass er nach Santo Tomás fuhr und war hocherfreut über ihre amerikanischen Dollarscheine. Er duckte sich und hielt eine Seite des Boots fest, damit Caitlyn einsteigen konnte, wobei sie wegen des Baldachins den Kopf einziehen musste. Sie kletterte über und um die bereits sitzenden Passagiere herum, bis sie einen Platz an der Seite gefunden hatte, der ausreichend Stauraum für ihre Tasche bot, die sie sich unter die Beine klemmte. Die kleinere Tasche nahm sie auf den Schoß.
»Mögen Sie das Meer?«, fragte ihre Sitznachbarin. Sie hatte dunkle Haut und einen spanischen Akzent.
»Sicher, warum auch nicht?« Caitlyn hatte während ihrer Collegezeit als Reiseleiterin bei Rafting-Touren gearbeitet. Schlimmer konnte das hier auch nicht werden.
Die Frau lächelte und nickte. » Bueno . Muchos toques . Viele Spritzer.«
Die Fähre füllte sich, bis die Menschen dicht gedrängt auf den Bänken saßen und der Bug immer tiefer ins Wasser sackte. Caitlyn wusste jetzt, was die Frau gemeint hatte. Obwohl sie immer noch an der Mole anlagen, bekam sie bei jeder Welle, die gegen die Bordwand schlug, Wasserspritzer ab. Sie steckte ihre Umhängetasche in die Reisetasche und überprüfte, ob auch jeder Reißverschluss gut verschlossen war. Den Laptop und ihr Handy hatte sie notdürftig in Plastiktüten verstaut; wenn sie also nicht komplett ins Wasser fiel, sollte alles gut gehen. Hoffte sie jedenfalls.
Der Junge – ihr Kapitän, wie sie erst jetzt realisierte – stieg hinten ins Boot und ließ die Motoren ins Wasser. Mit einer dicken dieselgeschwängerten Rauchwolke legten sie ab, und schon steuerte die klapprige Nussschale mitten aufs karibische Meer hinaus.
Caitlyn klammerte sich an der Reling fest und war froh, nicht unter Seekrankheit zu leiden. Zumindest bis jetzt nicht. Sie dachte an Maria, die voller Vorfreude in ihr Abenteuer aufgebrochen war.
Marias Mutter hatte nie erwähnt, ob die Entführer, die sich bei Hector gemeldet hatten, einen Beweis geliefert hatten, dass ihr Opfer noch lebte. Gut möglich, dass sie nur noch eine Leiche retten konnte.
19
Nachdem sie etwas Omelett und Brühe zu sich genommen hatte, fielen Maria wieder die Augen zu. Als sie das nächste Mal erwachte, waren die Fesseln und der Tropf verschwunden. Eine kühle Brise wehte ins Zimmer. Hinter den Vorhängen konnte sie den wolkenlosen blauen Himmel erkennen.
Sie stand auf, wenn auch unter starken Schmerzen und zunächst noch etwas wacklig auf den Beinen. Aber das war noch gar nichts gegen die heftig juckenden Insektenstiche, mit denen sie übersät war. Sie wollte sich schon kratzen, hielt sich aber zurück, weil ihr wieder einfiel, dass der Arzt einige entzündete Stiche erwähnt hatte. Also ballte sie die Hand lieber zur Faust und versuchte, an etwas anderes zu denken.
Ihr Rucksack stand am Fußende des Bettes. Den musste die Polizei mitgebracht haben. Anscheinend hatte sich niemand daran zu schaffen gemacht, stellte sie fest, als sie einen Blick hineinwarf. Sie ging auf die Toilette, dann unter die Dusche und fühlte sich gleich besser, als sie auch noch frische Kleider angezogen hatte. Während sie sich das Haar kämmte, betrachtete sie sich im Spiegel und war überrascht, immer noch dieselbe unscheinbare Maria vor sich zu sehen. Das Mädchen, das nie jemandem auffiel.
Merkwürdig. Denn sie war nicht mehr dieselbe. Würde ihrem Vater auffallen, dass sie sich verändert hatte? Oder würde er sie weiterhin wie ein unselbstständiges, dummes kleines Mädchen behandeln?
Sie warf ihrem Spiegelbild einen wütenden Blick zu. Auf keinen Fall würde sie das Studium abbrechen und ihren Traum aufgeben, egal was er davon hielt. Sollte er sie ruhig rauswerfen oder den Geldhahn zudrehen, es war ihr egal.
Nur stimmte das gar nicht. Was das Geld anging schon … obwohl ihr keine Arbeit einfiel, für die sie qualifiziert wäre. Aber was ihre Eltern über sie dachten, war ihr keineswegs egal. Als Kind war es für Maria das Schlimmste überhaupt gewesen, wenn ihr Vater sie mit Schweigen gestraft hatte. Und das wäre es auch heute, dazu
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