Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
Ihrer Vergangenheit, Hector? Jemand, der Maria benutzen würde, um Ihnen zu schaden?«
Hectors Miene war wie versteinert, er blickte nicht einmal mehr auf die Karte und sah auch keine der beiden Frauen an. Seine Haltung war stramm, militärisch, obwohl er wie sie auf dem Boden saß. Itzel hingegen keuchte erschrocken auf und griff nach dem Kreuz um ihren Hals. Sie sagte nichts, schüttelte nur immer wieder den Kopf, wie um einen furchtbaren Gedanken abzuwehren.
»Nein«, brachte sie schließlich erstickt hervor. »Weshalb sollte er sie wollen?« Sie wandte sich an Hector. »Wieso würden Sie meine Tochter dieser Bestie überlassen? Haben Sie beide mir nicht bereits genug genommen?«
Hector stand auf und marschierte zur anderen Seite der Höhle, ohne die Wachen zu beachten. Itzels ganzes Auftreten war mit einem Mal komplett verändert. Die selbstbewusste Anführerin von eben war verschwunden. Stattdessen kauerte sie zitternd, mit um den Kopf geschlungenen Armen, da und mied jeden Blickkontakt.
Caitlyn berührte sie sanft an der Schulter, woraufhin Itzel zurückschrak, als hätte sie ihr einen schweren Schlag versetzt. »Was ist dort in dieser Klinik, Itzel? Wovor haben Sie solche Angst?«
Nach einiger Zeit hob Itzel den Kopf. Jedoch nicht, um Caitlyn anzusehen. Stattdessen starrte sie Hector an. Er verharrte regungslos – was Caitlyn beunruhigte. Schließlich war er ein Mann der Tat, gewohnt, jede Situation unter Kontrolle zu haben. Warum stand er einfach nur da, obwohl er im Untergrund gefangen und von seinen Männern getrennt war?
»Ich war jung, siebzehn, kannte nur mein Dorf, meine Familie«, begann Itzel zu erzählen. Ihre Stimme klang heller als zuvor, als ob sie mit der Stimme der Siebzehnjährigen von damals sprechen würde. »Der Krieg, er dauerte schon seit Jahrzehnten an, seit der Zeit, als mein Großvater gelebt hat, er gehörte einfach zu unserem Leben dazu. Wir arbeiteten auf den Feldern, versuchten, genügend anzubauen, um davon leben zu können; wir lebten, wir starben, aber wir waren beisammen. Wir hatten einen Priester und diese Kirche hier, aber wir folgten auch noch unseren alten Traditionen, wie sie vom Vater an den Sohn und von der Mutter an die Tochter weitergegeben wurden, solange wir uns erinnern konnten. Wir hatten nicht viel, aber wir waren glücklich.«
»Und was ist dann geschehen?«, fragte Caitlyn, als Itzel verstummte.
»Die Soldaten kamen. Sie waren schon früher hier gewesen, haben uns das Wenige genommen, was wir hatten, unsere Häuser zerstört. Aber irgendwie haben wir immer überlebt. Wenn wir sie kommen sahen, haben wir uns versteckt. Manchmal hier unten, manchmal im Dschungel, manchmal im Tempel. Aber dann kamen sie eines Tages wieder. Und dieses Mal blieb meinem Volk keine Zeit zu flüchten – sie hatten das Dorf eingekreist. Behaupteten, wir seien Rebellen und dass das Land nicht länger uns gehören würde.«
Sie räusperte sich und wandte den Blick ab, rieb sich über die Augen. Caitlyn sah die Tränenspur auf ihren Händen. »Ich war nicht hier, war mit einem Jungen verabredet. Er kam nie. Ich hörte Schüsse und rannte zurück und sah … ich sah …«
Sie konnte nicht weiterreden. Caitlyn griff nach Itzels Hand und hielt sie fest. Sie war eiskalt. »Die haben Ihre Leute ermordet?«
Itzel nickte. »Es ging zwei Tage lang. Die Männer haben sie schnell getötet, aber die Frauen und Kinder …« Sie atmete scharf ein, als ob jeder Atemzug ihr Schmerzen bereiten würde. »Ich wusste nicht wohin, also habe ich mich im Tempel versteckt. Dann sah ich den Rauch. Ich kehrte zurück. Sie haben alles niedergebrannt. Unsere Feldfrüchte, unsere Häuser, diese Kirche. Die Leichen haben sie auf ihre Lastwagen gezerrt und sind weggefahren. Ich habe abgewartet, bis ich mich in Sicherheit wähnte, dann bin ich aus dem Dschungel gekommen und habe nach Überlebenden gesucht; dabei haben sie mich erwischt.«
»Die Männer haben Sie gefangen genommen?«
»Ja. Und zum Invierno-See gebracht.« Sie spie die Worte förmlich aus.
»Das Krankenhaus.«
»Damals war es …« Sie schloss die Augen und sprach weiter, ohne sie zu öffnen. »… die Hölle. Das schrecklichste Gefängnis, das Sie sich vorstellen können. Keiner, der dorthin geschickt wurde, kehrte jemals zurück, sondern verschwand für immer. Ich war zwei Jahre dort, als ich schwanger wurde.«
Caitlyn erschauerte bei der Vorstellung von dem, was Itzel damals hatte erdulden müssen. »Und Sie bekamen Maria.«
Itzel
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