Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
ihn eventuell für immer loszuwerden, zumindest aber auf die falsche Fährte zu locken. Was bedeutete, dass Maria immer noch am Leben war. Wieso das alles? Auf was hatten ihre Entführer es wirklich abgesehen?
Sie zog ihre verknitterte Karte aus der Tasche und setzte sich im Schneidersitz auf den kühlen Boden. Die abrupte Bewegung ließ sowohl Itzel als auch Hector aufmerken. »Wenn Sie beide damit fertig sind, wertvolle Zeit zu verschwenden …«
Die beiden setzten sich ihr gegenüber, während Caitlyn die Karte auf dem Steinboden ausbreitete. Einer von Itzels Gefolgsmännern brachte eine Art Laterne – eine ausgeklügelte Konstruktion aus aufblasbarem, durchsichtigem Plastik; das Ganze sah ein wenig aus wie ein Strandball, nur mit LED -Leuchten im Innern und Solarzellen auf der Außenhaut. »Zeigen Sie mir, wo wir sind.«
Itzel und Hector schickten sich beide an, ihr den Ort zu zeigen, wobei sich beinahe ihre Finger berührt hätten. Sie deuteten auf einen Punkt östlich von den Koordinaten, die Maria sich angesehen hatte. Caitlyn markierte das Dorf. »Maria wurde vorgegaukelt, dass sie bei einer archäologischen Expedition aushelfen würde, die einen im Dschungel verborgenen Tempel hier in der Gegend ausgraben sollte.«
Itzel nickte. Hector beugte sich über die Karte – der Tempel lag weniger als zwei Meilen von hier entfernt in den Bergen.
»Soweit ich das beurteilen kann, ist Maria auf dem Weg dorthin.« Caitlyn ließ unerwähnt, dass sie Maria niemals finden würden, sollten ihre Entführer sie mittlerweile an einen anderen Ort verschleppt oder gar über die Grenze in ein anderes Land gebracht haben. Sie konnte nur von den bekannten Tatsachen ausgehen.
Hector lehnte sich zurück, sein Blick schweifte abwesend in die Ferne.
»Maria wollte zum Tempel?«, fragte Itzel verwundert. »Niemand geht zum Heiligtum von Chaac. Und es gibt auch ganz sicher keine Archäologen, die dort Grabungen durchführen.«
»Irgendjemand muss aber von diesem Ort wissen – zumindest so viel, um Maria von dieser Geschichte überzeugt zu haben.« Und derjenige hatte Maria clevererweise in dem Glauben gelassen, sie selbst hätte den Tempel entdeckt. Wenn das nicht der perfekte Köder war.
Und ein weiterer Hinweis darauf, dass Maria noch am Leben war. Wenn ihre Entführer sie hätten umbringen wollen, wäre eine Kugel in Florida der einfachere und billigere Weg gewesen. Nein, sie wollten Maria unversehrt in die Finger bekommen und nicht riskieren, dass ihr etwas zustieß. Außerdem brauchten sie sie hier in Guatemala.
Aber wofür? Caitlyn konnte es kaum ertragen, keine Antwort auf diese einfache Frage zu finden. Würde sie erst einmal die Motive der Entführer verstehen, war das der Schlüssel zu Marias Rettung, da war sie ganz sicher.
Itzel schüttelte den Kopf. »Nein. Keiner von meinem Volk würde über den Tempel sprechen oder einem Uneingeweihten davon erzählen. Es ist ein Ort des Todes.«
»Was meinen Sie damit? Gibt es einen Aberglauben, was diesen Tempel betrifft?«
»Kein Aberglaube. Es ist wirklich so. Der Tempel wurde über einer Doline errichtet. Eine natürliche Zisterne so wie diese hier«, sie zeigte auf den kleinen See. »Der Abgrund darunter führt direkt in die Unterwelt. Chaac war der Regengott, wichtig für die Ernte, also wurden ihm in Dürreperioden Opfer gebracht. Menschenopfer. Vor zwei Jahren, nach dem Erdbeben, ist der Tempel teilweise eingestürzt und hat den Fluss vorübergehend verstopft. Alles ist flussaufwärts getrieben worden. Auf dem Boden der Doline im Tempel lagen Knochen. Tausende und abertausende Knochen.«
Das war vielleicht nicht gerade eine Touristenattraktion, für Forscher und Plünderer doch aber bestimmt interessant, dachte Caitlyn. »Wie können Sie so sicher sein, dass niemand dorthin geht?«
»Niemand würde es wagen, die Toten zu stören – es wäre so, als würden Sie einen Ihrer Friedhöfe plündern. Dieser Tempel und die Knochen sind heilig, sie müssen um jeden Preis geschützt werden.«
Caitlyn dachte darüber nach. Irgendjemand wusste dennoch von dem Tempel und hatte dieses Wissen benutzt, um Maria hierherzulocken. Sie zeigte auf die einzige andere Landmarke auf der Karte: die Clínica Invierno. Sie lag circa vier Kilometer vom Tempel entfernt, in direkter Luftlinie. Über den Weg am Fluss entlang wäre es ungefähr doppelt so weit und noch etwas mehr, wenn man der Straße folgte. »Was ist mit diesem Ort hier? Ist das ein Krankenhaus? Gibt es dort jemanden aus
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