Wenn der Wetterhahn kräht
auch der
Großneffe von Druella Buggins. Niemand Geringeres als das berühmte Smithsonian
Institut in Washington, das sich der Zoologie, Ethnologie und der frühen
Geschichte Nordamerikas widmet, interessiert sich für dieses Sondergebiet der ›Early
Americana‹.
›Early Americana‹ zählen aber in den
USA auch zu den ›collectibles‹. Unter dieser handlichen Sammelbezeichnung
versteht man drüben alles, was man sammeln kann, von Hummel-Figuren über
historisch sich wandelnde Coca-Cola-Flaschen bis zu den Relikten amerikanischer
Präsidentschaftswahlkämpfe; und ›Early Americana‹ sind die teuersten aller ›collectibles‹.
Neuenglische Bauernmöbel erzielen Preise wie die besten Zeugnisse französischer
Möbelkunst des 18. Jahrhunderts, wie Helen und Peter Shandy herausfanden, als
sie den völlig verarmten Horsefalls halfen, ihre Farm zu sanieren (»Über Stock
und Runenstein«), Und so werden auch Praxiteles Lumpkins’ Wetterfahnen, wenn
sie denn einmal bei einer Auktion auftauchen, knapp unter der
100.000-Dollar-Grenze gehandelt.
Könnte das der Grund sein für das
rätselhafte Faktum, daß die Gebäude, die solche Wetterfahnen tragen, eine
verhängnisvolle Neigung entwickeln, niederzubrennen, sobald Helen Shandy ihren
Messingschmuck photographisch dokumentiert hat? Am verhängnisvollsten erweist
sich diese Tendenz bei der Seifenfabrik von Lumpkinton, dem bei weitem größten
Arbeitgeber der Gegend. Wenige Stunden, nachdem Helen den sie schmückenden Mann
im Badezuber bei günstigstem Licht aufgenommen hat, brennt sie bis auf die
Grundmauern nieder. Nicht nur, daß ein alter Arbeiter dabei ums Leben kommt und
anschließend der ganze Ort in aschevermengtem, blasenwerfendem Seifenschaum
versinkt — noch schlimmer scheint die Gefahr, daß das alte Gemäuer nicht wieder
aufgebaut wird und die Gegend in Arbeitslosigkeit und Elend versinkt.
Schnell glaubt man einen Schuldigen zu
haben, den Werkmeister Brinkley Swope, hatte er doch einerseits stets für eine
Modernisierung der Fabrik gekämpft und andererseits verkündet, gelegentlich die
Kanone auf dem Denkmal gegenüber der Fabrik abfeuern zu wollen. Hat er so den
Brand ausgelöst, in einer Mischung aus Dummer-Jungen-Streich und ›heißer
Sanierung‹. In Lumpkinton schäumt die öffentliche Meinung gegen ihn jedenfalls
genauso heftig und schmutzig wie die Seife in den Straßen. Sein Bruder Cronkite
Swope, der Rasende Reporter vom Allwoechentlichen Gemeinde- und Sprengel-Anzeyger, wendet sich deshalb hilfesuchend an den nun schon berühmten Amateurdetektiv
Peter Shandy, dessen außerordentliche Erfolge er mehrfach pressetechnisch
begleitet hat. Er soll den wahren Hergang klären, bevor Brinkley Swope
eventuell gelyncht wird.
Und so kommt es nun zu dem, was man
nicht besser als mit dem englischen Originaltitel bezeichnen kann — »Vane
Pursuit«, was einerseits »Die Jagd nach den Wetterfahnen« heißt, phonetisch
aber exakt der englischen Redewendung ›vain pursuit‹, ›eitles Unterfangen‹
entspricht — letzteres natürlich für die Fahnendiebe. Während Helen mit einer
Freundin in den nördlichsten Bundesstaat Maine aufbricht, um ein letztes der
Werke des großen Praxiteles zu photographieren, muß Peter zu Hause bleiben, um
seinem Freund in der erbetenen Weise beizustehen. Beide erleben nun eine
Abenteuerkette, die selbst für MacLeod-Fans noch Überraschungen bietet: Während
Helen sich mit zwei weiteren Damen unter Lebensgefahr auf eine Insel rettet,
landen Peter und Cronkite erst in einem Baumhaus und am Ende einer ›tarzanischen
Reise‹ in einem geräumigen Kaninchenbau.
Mehr darf natürlich nicht verraten
werden, wohl aber, daß sich früh eine erste Spur der verschwundenen Fahnen
abzeichnet: Haben die spektakulären Diebstähle mit integrierter Brandstiftung
etwas mit den mysteriösen Überlebenskämpfem zu tun, die sich bei näherem
Hinsehen als schießwütige paramilitärische Wehrsportgruppe entpuppen? Der
schnell hergestellte Zusammenhang läßt den Roman, der als Untersuchung einer
Brandstiftung mit Todesfolge begann, zur Untergattung des Bandenromans werden.
Während man über immer rätselhafter werdende Zwischenfälle tiefer in die
Bandenstruktur eindringt, stellt sich immer dringender die Frage nach den
unbekannten Drahtziehern, die unter der Maske von Biedermännern und -frauen die
Puppen tanzen lassen. Friedrich Gerstäcker hat sich dieses Modells mit
anhaltendem Erfolg in »Die Flußpiraten des Mississippi« bedient, Edgar
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