Wenn der Wind dich ruft
dass Adrian hereinkommt und dir den Pflock ins Herz rammt?«
Er polierte seine Fingernägel an der Manschette seines Hemdes. »Wenn ihm das Freude macht.«
»Und was, wenn Wallingford vor ihm hier ist?«
»Das Schuldgefängnis kann nicht so schlimm sein«, erklärte er fröhlich. »Es ist immer dunkel, und genug Essen sollte es auch geben.«
Portias Erbitterung wich schließlich Zorn. »Bist du deshalb nach London zurückgekehrt? Weil du den Spaß daran verloren hast, Männer, die dich ohnehin nicht umbringen können, zu Duellen zu provozieren? Weil du wusstest, Adrian würde dich am Ende doch finden und das tun, wozu du nicht den Mumm hast?«
Statt einer Antwort schaute er sie stumm an, ohne zu blinzeln, wie eine Eule oder ein gefährlicherer anderer nächtlicher Räuber.
»Hast du daran gedacht, was mit mir geschieht, wenn du bleibst?«, fragte sie. »Du würdest vermutlich vernichtet, aber das wäre auch mein Ruf.«
Unbehagen flackerte in seinen Augen. »Wovon sprichst du?«
»Wenn man mich hier entdeckt in dieser Mietwohnung, gemeinsam mit dir«, antwortete sie mit einem beredten Blick zum Bett mit den zerwühlten Laken, »wird mein guter Ruf für immer zerstört sein.«
Er kniff die Augen zusammen. »Darum scheinst du dich nicht sonderlich gesorgt zu haben, als du vor nicht allzu langer Zeit die Spielhölle betreten hast.«
»Da kannte mich niemand. Aber der Marquis of Wallingford ist ein überaus mächtiger und einflussreicher Mann. Wenn er verbreitet, dass die Schwägerin von Lord Trevelyan sich mit seinem Bruder trifft, einem schamlosen Tunichtgut und berüchtigten Lebemann ...«
»Du vergisst blutsaugender Bösewicht«, warf er ein.
»... gäbe es für mich keine wohlhabenden Viscounts oder Earls«, fuhr sie fort, als hätte er nichts gesagt, »die Schlange stehen, um mir einen Heiratsantrag zu machen. Oder ein halbes Dutzend Babys, die mich ans Kinderzimmer binden.« Sie seufzte, zeigte dieselbe tragische Resignation, die sie einmal dafür eingesetzt hatte, um Caroline dazu zu bewegen, ihr eine hübsche Zierborte zu kaufen, die sie sich absolut nicht leisten konnten. »Ich nehme an, mir bleibt keine andere Wahl, als mich einem Mann wie Wallingford als Mätresse anzubieten. Ich bin sicher, er wird ein grausamer und herzloser Gebieter sein, aber vielleicht lerne ich es ja mit der Zeit, ihm zu Gefallen zu sein.«
Julian hatte den Raum mit erstaunlicher Geschwindigkeit durchquert und packte sie an der Hand. Dann zerrte er sie zur Tür, bedachte sie über die Schultern mit einem sengenden Blick. »Ich bin zwar mehr als bereit, mich vor dem Herrgott für meine Sünden zu rechtfertigen, aber ich will verdammt sein, wenn ich es zulasse, dass du für ein Vergehen bestraft wirst, das ich nicht die Freude hatte, heute Nacht zu begehen.«
Während Julian mit ihr die dunkle Treppe hinunterlief, hielt er sie unnachgiebig fest, und Portia hatte Schwierigkeiten, mit ihm Schritt zu halten. Ehe sie den ersten Absatz erreichen konnten, erklang von unten ein lautes Poltern. Er blieb abrupt stehen, streckte einen Arm nach hinten aus, um sie zu stützen, ehe sie gegen seinen Rücken prallte. Über ihren lauten Atem hinweg hörte sie das unmissverständliche Geräusch von Stiefeltritten auf der Treppe. Sie hatten zu lange gewartet. Der einzige Fluchtweg war ihnen abgeschnitten worden.
Julian wirbelte herum, zog sie wieder die enge gewundene Treppe hoch und an der Tür zu seinem Zimmer vorbei. Immer weiter nach oben liefen sie, bis sie schließlich durch eine schief in den Angeln hängende Tür auf das Dach gelangten.
Ein Stoß eisig kalter Luft fuhr Portia durch die Locken, riss sie an ihrer Frisur, was sie daran erinnerte, dass sie ihren Hut, ihren Umhang und alle ihre Waffen in Julians Zimmer gelassen hatte, sodass sie den Elementen und ihm ausgeliefert war. Doch statt Angst strömte ein merkwürdiges Hochgefühl durch ihre Adern.
Eine dünne Schneedecke überzog Schornsteine und Giebel. Glitzernde Flocken tanzten im unbeständigen Mondlicht, wurden vom launischen Wind durcheinandergewirbelt. Obwohl sie ihm versichert hatte, dass sie all ihre Kindheitsphantasien hinter sich gelassen hatte, konnte Portia sich des Gefühls nicht erwehren, als befände sie sich in irgendeinem verzauberten Märchenkönigreich, sowohl schön als auch gefährlich.
Als sie noch ein Kind war, hatte sie daran geglaubt, dass solche Märchenländer von einem goldblonden Prinzen regiert würden, der sie vor jeder Bedrohung retten würde.
Weitere Kostenlose Bücher